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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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und nimmer die Treue geschworen!«
    »Das kannst du nicht verstehen. Du warst nicht dabei. Du hast nicht sein Gesicht gesehen, den glühenden Blick. Vollmacht hat
     ihn umgeben. Er hat das Schreckliche nicht einfach so dahingesagt. Was er gesagt hat, klang, als sei es jahrhundertealt.«
     Er sah sie an mit großen Augen. »Es klang, als sei es wahr.«
    »Wahr ist dieses nasse Loch hier!« Sie hielt die Fackel an die schimmelige Wand. »Du wurdest von einem kirchlichen Orden aufgezogen.
     Erzähle mir nicht, daß dich die erstbeste Ketzerpredigt auf der Straße umgeworfen hat.«
    »Ich hatte nicht das Gefühl, daß er gegen die Kirche predigt, zumindest damals nicht. Hat er nicht ihre Lehren nur verschärft?
     Der Kirche gilt das Zeugen eines Kindes genauso als Sünde. Sie lehrt das nicht offen, aber wird es nicht durch die Strafe
     deutlich? Weil man nicht genau weiß, wann das Kind gezeugt wurde, wird die Strafe nach der Geburt verhängt. Hast du dich nie
     gefragt, warum es einer Wöchnerin verboten ist, eine Kirche zu betreten? Sie wird als unrein betrachtet, bei einem Jungen
     vierzig Tage lang, bei einem Mädchen achtzig Tage. Ich hätte Amiel von Ax anzeigen sollen damals? Denkst du wirklich, ich
     hätte erkennen können, was er vorhatte?«
    Ja, das hättest du, dachte sie. Sie rief: »Wache!«
    »Ich rede die Dinge schön. Das denkst du, nicht wahr? Töchterchen, ich sitze in einem kalten, nassen Drecksloch und warte
     auf den Tod. Da redet man nichts schön. Ich weiß |94| sehr wohl, wie ich in diesen Kerker geraten bin. Er ist dafür verantwortlich. Ich habe keinen Grund, ihn besser darzustellen,
     als er ist.«
    Eine viereckige Öffnung erschien weit über ihr. »Obacht!« rief eine Stimme. Seil zischte, und der Korb kam heruntergerast.
     Rasch trat sie beiseite. Der Korb landete hart auf dem Boden. Staub umwölkte ihre Fackel.
    »Die Wahrheit erzähle ich dir, Töchterchen, und nichts anderes. Bitte, bleib. Willst du den Rest nicht hören?«
    »Ich soll mir anhören, wie mein Vater zum Mordhelfer wurde? Ich soll hören, daß alles, was du mich gelehrt hast, eine Lüge
     ist?« Sie sah ihn an, und es erschien ihr plötzlich richtig, daß der ausgemergelte Mann starb. Sie schämte sich für diesen
     Gedanken. Dennoch, sie konnte nicht anders: In ihren Augen hatte er den Tod verdient. »Im Bischofspalast, da habe ich noch
     gehofft, daß man dir Dinge anhängen will, die du gar nicht getan hast. Ich bin hierhergekommen, weil ich dachte, du würdest
     alles aufklären und mir den Glauben an dich wiedergeben.«
    »Mathilde, ich bitte dich um nichts weiter als ein wenig Geduld. Du wirst verstehen –«
    »Das habe ich längst«, unterbrach sie ihn. »Ich habe verstanden.« Sie stieg in den Korb. Während man sie langsam hinaufzog,
     sah sie hinab. Vaters Blick folgte ihr. Stumm stand er da und sah ihr nach.
    Die Wachen hievten den Korb fort vom Loch und schlossen es mit einer Klappe von schwerem Eichenholz. Sie halfen ihr aus dem
     Korb, nahmen ihr dienstbeflissen die Fackel ab. Warum waren sie so höflich? Der Kerkermeister stand hinter ihnen, ein kleiner
     Mann mit schmalem Gesicht, unrasiert. »Kommt, ich geleite Euch hinaus«, sagte er ruhig. Seine Zähne waren beneidenswert gesund.
    Gehorsam erklomm sie die Treppe. An ihrem oberen Ende öffnete der Kerkermeister ihr eine Pforte. Warme Luft schlug ihr entgegen.
     Mathilde blinzelte. Das Tageslicht schmerzte in den Augen. Aus Hinterhofgärten drang Vogelgezwitscher. |95| Menschen liefen geschäftig umher, trugen Bündel, Kiepen, Körbe. An den Häuserecken standen sie beisammen und schwatzten. Zarte
     Wölkchen verzierten den Himmel.
    Sie machte sich auf den Weg nach Hause. Sie dachte: Vater ist schuldig, die Gerichtsverhandlung war kein Schauspiel. Er hatte
     sie all die Jahre belogen. Ein bitterer Geschmack verbreitete sich in ihrem Mund.
    Und die Freundlichkeit des Kerkermeisters? Sagte ihr nicht der Instinkt, daß es dafür eine andere Ursache gab als die dreißig
     Silberpfennige und den Krug Wein, mit denen sie ihn bestochen hatte? Sie spürte doch, man erhoffte sich etwas von ihr. Hatte
     der Kerkermeister ihr Gespräch mit dem Vater belauscht? Wartete er darauf, daß der Vater ein Geheimnis preisgab, daß er ihr,
     Mathilde, erzählte, was die Inquisition aus ihm herauspressen wollte?
    Selbst wenn es so war, es war nicht ihre Sache. Mit den abscheulichen Machenschaften ihres Vaters hatte sie nichts zu tun,
     und sie würde sich darin nicht

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