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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Ax wußte, wie er seine Eltern finden
     konnte. Nemo wich dem Fremden nicht mehr von der Seite. Er mußte rasch das Gewünschte erfahren, sei es, indem er sich das
     Vertrauen Amiels erschlich, sei es, indem er dessen Kiste durchsuchte in einer unbeobachteten Stunde. Jeder Tag in seiner
     Nähe war eine Gefahr. Je eher er die Geheimnisse Amiels ergründet hatte, desto eher konnte er ihn auch wieder verlassen.
    Er war schon Hauptmann gewesen, Gesandter eines Markgrafen, Jude, Tagelöhner, Fernhändler, Leibrentenverkäufer. Er würde rasch
     lernen, wie er sich als Leibdiener zu verhalten hatte. Obwohl sie nicht darüber sprachen, verstand es sich mehr und mehr von
     selbst, daß er Amiel diente. Natürlich mußte er bei seinem Herrn wohnen.
    Das Haus des Goldschmieds, in dem Amiel sich eingemietet hatte, besaß drei Stockwerke. Im Erdgeschoß befand sich die Werkstatt.
     Tagaus, tagein hörte man den Goldschmied darin hämmern. Das erste Stockwerk bewohnte der Schmied mit Frau und Kindern. Amiel
     stand das Dachgeschoß zu. Das Gebäude war mit Wein bewachsen; winterlich braunem Gezweig, das an den pechgeschwärzten Balken
     und der getünchten Wand bis zum Dach hinaufkroch.
    In Amiels Stockwerk gab es zwei Räume, dazu eine Küche, einen kleinen Korridor und eine Vorratskammer. Ein Abort fehlte, sie
     mußten einen Kübel verwenden, den Nemo regelmäßig in die Senkgrube im Hof ausleerte.
    In der ersten Nacht, die er bei Amiel verbrachte, regnete es. Es war ein feines Trommeln auf dem Dach über ihnen, ein beständiges
     Klopfen. Unten auf der Straße plätscherte ein |99| Rinnsal. Der Regen roch frisch und erdig. Dennoch war es Nemo, als weinte der Himmel über ihn. Als wollte er ihn mit dem Klopfen
     mahnen, das Weite zu suchen, ehe es zu spät war.
    Am Morgen schickte Amiel ihn nach Amberkraut zum Apothekarius. Nemo verließ das Haus über die Außentreppe im Hof, aber anstatt
     sich, wie aufgetragen, auf den Weg zum Apothekarius zu machen, verbarg er sich hinter dem Brunnen. Die Gänse im Verschlag
     des Schmieds betrachteten ihn neugierig. War es nicht anstrengend, den ganzen Tag den Kopf so weit oben zu halten? Solange
     sie ihn nicht mit Schnattern verrieten, war es ihm recht.
    Kurze Zeit später erschien Amiel auf der Treppe, stieg hinab. Er verließ das Grundstück. Nemo folgte ihm. Er hielt Abstand,
     damit Amiel ihn nicht bemerkte. Glücklicherweise war die Leimgasse bereits geschäftig, es war nicht schwer zu erreichen, daß
     sich immer Leute zwischen ihnen befanden. Ab und an blieb Nemo an einer Verkaufsbude stehen, nahm einen Kamm in die Hand oder
     einen Gürtel und spähte Amiel dabei aus dem Augenwinkel hinterher.
    Der Fremde bog zum Marktplatz ab. Nemo eilte ihm hinterher und sah gerade noch, wie er durch die schnitzwerkverzierte Tür
     eines prächtigen Hauses verschwand, eine Tür, die er sehr gut kannte, eine Tür, durch die er selbst Dutzende Male getreten
     war, in anderer Kleidung, unter anderem Namen. Er sah am dreistöckigen Haus hinauf. Seine weiße Fassade war mit roten und
     silbernen Ornamenten bemalt. Amiel besuchte Venk von Pienzenau.
    Der Fürstenmantel fiel ihm wieder ein. Natürlich, Amiel von Ax verkehrte unter den feinen Herrschaften der Stadt. Aber Venk
     von Pienzenau? Es hieß, daß kurz nach dem vergangenen Weihnachtsfest sogar der Kaiser und die Kaiserin zu Besuch gewesen waren
     bei ihm, hier, in seinem Haus. Was verband Amiel mit dem mächtigen Ratsherrn und Fernhändler? Wunderte es Venk nicht, daß
     er in so einfacher Kleidung bei ihm erschien, ohne Diener, ohne Schwert?
    |100| Nemo kaufte warmen Rübenkuchen an einer Imbißbude. Die Tür behielt er im Auge. Wie kam es, daß seine Eltern Amiel kannten?
     Hatten sie für ihn gearbeitet? Er beschloß, auf ihn zu warten. Vielleicht war er in Begleitung, wenn er wieder aus dem Haus
     trat. Oder er trug etwas bei sich.
    Der Himmel zog sich zu, und die Händler begannen, ihre Waren von den Tischen zu räumen. Um sich die Zeit zu vertreiben, beobachtete
     er einige Kinder. Sie legten einem Huhn eine Spur aus Körnern. Das Huhn folgte, pickte gehorsam Korn für Korn auf. Es sah
     sehr ernst aus dabei. Die Kinder lachten. Das Huhn folgte dem Spiel, als wäre es eine wichtige Arbeit. Es schielte seitwärts,
     pickte, hob den Kopf, spähte aus, pickte, pickte, prüfte, pickte. Die Kinder lockten es mit der Körnerspur bis zu einem Bottich,
     den sie schräg in die Höhe hielten. Das Tier ging in die Falle. Sie stülpten ihm den

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