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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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verrichtet, um die Magister zu bezahlen. Von seinen Eltern nahm er kein Geld. Er war froh gewesen, sie abzuschütteln, diese
     Liebe, die so unzuverlässig war.
    Auch die Versprechungen der anderen Studenten waren falsch gewesen. Sie schworen unerschütterliche Freundschaft. Dann aber
     saßen sie in Wirtshäusern und betranken sich, die Wohlhabenderen, während er schuftete. Wegen der unterschiedlichen Herkunftsländer
     gab es Streitereien. Franzosen bezeichneten die Engländer als Trunkenbolde und triebhafte Tiere; die Engländer antworteten,
     Franzosen seien hochmütig, |103| verweichlicht und aufgeputzt wie die Weiber. Die Brabanter spotteten, die Lombarden seien geizig und feige. Die Lombarden
     ihrerseits sagten, die Brabanter seien Wüstlinge. Jeden Abend prügelten sie sich. Freunde, die ihm Veilchen schlugen, weil
     er Franzose war.
    In Toulouse lernte er, der Schwäche zu widerstehen. Er lernte, sich nicht reizen zu lassen, obwohl er damals von dem Wissen
     nur ahnte, das später seine Seele durchdringen würde. Er lernte, die Bosheit in jedem Menschen zu sehen. Er erkannte das ihm
     innewohnende, verzweifelte Geschöpf, das sich danach sehnte, den Körperkäfig zu verlassen. Nichts an dieser Welt war gut.
     Ihr zu entfliehen, das war das Lebensziel.
    Er hatte seine eigene Kanzlei eröffnet, hatte hart gearbeitet, aber von Tag zu Tag litt er ärger. Dann begegnete er dem großen
     Autier. Autier zeigte ihm den Weg zurück ins Paradies.
    Autier war tot. Jetzt war es an ihm. Er würde die perfekte Kirche gründen. Nichts konnte ihn aufhalten, solange er sich den
     Rücken freihielt. Der Junge würde ihm nicht noch einmal folgen und alles verderben.
    Das Talburgtor. Amiel drehte sich um und entließ den Fleischhacker mit einem langen Blick. Er wartete, bis der Glatzkopf im
     Schlachthaus verschwunden war, dann klopfte er an die Tür des Turmes.
    Ein Wächter öffnete.
    Amiel sagte: »Holt Hauptmann Ermenrich.«
    Der Wächter nickte und verschwand im Turm. Kurz darauf erschien der Hauptmann, schwarzbärtig, dunkeläugig.
    Wie von selbst vollzogen Amiels Finger das geheime Zeichen.
    Der Hauptmann drückte ebenfalls vor seinem Bauch die kleinen Finger aneinander. »Womit kann ich Euch dienen, Perfectus?«
    »Ein Baum, der keine guten Früchte bringt, muß umgehauen werden. Jemand wird sterben. Noch heute.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Ihr werdet die Bluttat verschleiern.«
    |104| »Was muß ich tun?«
    »Es wird im Angerviertel geschehen, für das Ihr zuständig seid. Sorgt dafür, daß der Tote vergessen wird.« Er griff sich an
     den Gürtel und löste das Bündel. Deutlich fühlte er das trockene Brotstück. Er reichte es Ermenrich. »Der Herr richte und
     verdamme die Unvollkommenheiten des Fleisches.«
    Die Augen des Hauptmanns leuchteten.
     
    Kalter Wind blies Regentropfen und Herbstlaub um die Straßenecken. Adeline fröstelte. Ein unangenehmes Wetter! Nur den Herbstgeruch
     mochte sie. In der Stadt allerdings war er durchmischt mit Aschestaub und dem Gestank der Sickergruben. Wenn sie mit der Gräfin
     morgen aufs Land ausritt, würde sie in tiefen Atemzügen die gute Luft genießen.
    Die Gräfin durfte noch nicht vom Mittagsschlaf erwachen. Wenn sie Adeline rief, damit sie ihr beim Ankleiden half, und es
     kam keine Antwort – das würde Folgen haben. Was, wenn es mit der Geduld der Gräfin plötzlich ein Ende hatte?
    Sie sah auf. Die Kirche des heiligen Laurentius warf bereits ihren Nachmittagsschatten auf die nasse Wand des kaiserlichen
     Wagenhauses. Adeline beschleunigte ihre Schritte. Sie bog rechts ein, folgte dem Wassergraben und der Mauer des Kaiserhofs.
     Gegenüber befanden sich das Haus der Jäger und das Hundehaus. Manchmal, wenn sie in der Nacht nicht schlafen konnte, hörte
     sie einen Hund heulen. Das Geräusch war ihr immer raubtierhaft und bedrohlich erschienen. Ein solches Raubtier besuche ich,
     dachte sie. Sie war stolz auf sich.
    Sie trat durch das große Tor und ließ ihren Blick über die Zwinger streifen. Überall im Hof standen sie, ein Käfig am anderen.
     In manchen befanden sich dünne, langhaarige Kreaturen, die man Windhunde nannte. Sie waren leicht und schmal, sahen aus, als
     könnten sie fliegen. Aus anderen Käfigen starrten Doggen herüber, die Ohren aufgestellt, der Blick starr. Sie witterten Adeline
     wie ein Tier, das es zu jagen galt. Ihre kurzen Schnauzen kräuselten sich, und sie knurrten.
    |105| Auch Bracken gab es, Hetzhunde mit dicken Köpfen und

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