Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
Vom Netzwerk:
kam ihr nach.
    »Ich habe etwas vergessen«, sagte er auf halbem Wege. Er hielt beim Laufen die Hand auf dem Schwertknauf.
    |150| »Sprich.«
    Er erreichte sie. »Ich soll dich grüßen von dem jungen Burschen, den wir in der Gefangenenkammer hatten. Er bedankt sich.«
    »Wofür?« Den sie in der Gefangenenkammer
hatten
?
    »Nun, sie haben mir erzählt, du hast ihm Wasser gebracht. Das wird er wohl meinen. Er hat deinen Namen gesagt, deswegen dachte
     ich, vielleicht kennt ihr euch, und du freust dich, wenn ich dir seinen Dank ausrichte.«
    »Warum sagst du, daß ihr ihn in der Gefangenenkammer
hattet
? Wo ist er jetzt?«
    »Er ist auf freiem Fuß. Hat mächtige Freunde, der Bursche.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Venk von Pienzenau hat seine Freilassung befohlen. Höchstpersönlich ist er gekommen, mit einem Gefolge von Knappen und Edelknechten,
     und hat den jungen Kerl auf einem eigenen Pferd sitzen lassen. Es war sein erstes Mal, das hat man deutlich gesehen. Er reitet
     wie ein Bräuknecht.«
    »Hat Venk von Pienzenau gesagt, warum Heinrich freigelassen werden sollte?«
    »Ich war nicht in der Wachstube, ich stand hier draußen am Tor. Aber muß ein Mann wie er seine Befehle begründen? Was er sagt,
     gilt, als käme es vom Kaiser.«
    Die Nachricht beunruhigte sie. Was kümmerte Venk von Pienzenau ein kleiner Student? Warum machte er sich die Mühe, ihn des
     Nachts aus der Zelle zu holen? Man hätte Heinrich gefoltert, um die Namen derer zu erfahren, denen er Briefe gebracht hatte
     für Amiel von Ax. Wäre Venks Name dabeigewesen, hatte er Heinrich deshalb herausgeholt? Das würde bedeuten, daß Venk von Pienzenau
     zu den Dualisten gehörte!
    »Du siehst nicht gerade aus, als würdest du dich freuen. Du hast ihm doch Wasser gebracht. Hast du dir nicht gewünscht, daß
     er freikommen würde?«
    Sie brachte nichts heraus. Mühsam nickte sie und ließ den |151| Waffenknecht stehen. Am inneren Tor sah sie durch die Wachen hindurch, als seien sie Luft. Sie hörte nicht, was sie sagten.
     Wie im Traum überquerte sie den Hof.
    Sie faßte sich an die Kehle. Venk von Pienzenau hatte in Amiels Auftrag gehandelt. Das hieß, Amiel war mächtig genug, auch
     in den Kaiserhof einzudringen. Wußte Heinrich, mit welcher Macht er sich da eingelassen hatte?
    Ihre Gedanken krochen zäh voran. Wenn Venk von Pienzenau für Amiel arbeitete, dann war sie nirgendwo sicher. Dieser Amiel
     war kein Mensch, er war der Satan. Wie eine dunkle Plage hatte er die Stadt befallen, und er hatte sich sie, Adeline, als
     sein nächstes Opfer ausersehen.
    Sie betrat den dunklen Korridor im Ostflügel. In der klebrigen, schwarzen Finsternis stockte sie und blieb stehen. Sie sah
     Gespenster auf sich zukriechen. Wabernde Hände faßten wie Tücher nach ihr. Tentakel ringelten sich um ihre Fußknöchel und
     hielten sie fest. Ein Paar großer weißer Hauer näherte sich, ein aufgesperrtes Maul, winzige schwarze Äuglein, die sie anstarrten.
    In ihrem Hals steckte ein Schrei. »Tapfer, Mädchen. Du mußt jetzt tapfer sein«, flüsterte sie.
    Die Gespenster zogen sich ein wenig zurück, und das Maul schloß sich enttäuscht. Die Äuglein blickten sie an, lauernd.
    Adeline tastete an der Wand entlang. Sie fand eine Nische und die Kerze darin, dazu Feuerstein, Stahl und Werg. Sie zupfte
     etwas Werg vom Ballen, legte es an den Rand der Nische und schlug. Nichts. Es blieb dunkel.
    Die Gespenster kicherten.
    Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie schlug erneut gegen den Feuerstein. Kein Funke erhellte die Dunkelheit. Das konnte nicht
     mit rechten Dingen zugehen! Es gab immer Funken, wenn man Feuerstein und Stahl zusammenschlug, immer!
    Die Gespenster jauchzten böse. Die Tentakel krochen ihre Beine empor. Sie konnte den Hauch des großen Mauls in ihrem Nacken
     spüren. Hauerspitzen bohrten sich in ihre Schultern.
    |152| Mit aller Kraft schlug sie den Stahl auf den Stein. Ein Funke sprang und nistete sich im Werg ein. Eine Flamme schlug heraus.
     Rasch hob sie das Werg zum Docht und entzündete die Kerze. Die Dunkelheit wich zurück, sie floh in die Winkel und hinter die
     Kanten des Deckengewölbes. Die Gespenster mußten sich klein zusammenkauern. Auch der große Schwarze floh, er fürchtete das
     Licht.
    Sie atmete aus. Sie hatte die Dunkelheit besiegt. Gestärkt stieg sie die Treppe hinauf. Vor der Tür des englischen Gelehrten
     blieb sie stehen. Er schlief. Wie greulich es war, von einem Pochen geweckt zu werden. Er würde wütend sein, er würde

Weitere Kostenlose Bücher