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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Scheit in den Ofen. Die Flammen umspielten es, bogen einzelne Späne von der hellen Oberfläche ab
     und ließen sie verglühen. Das Scheit bekam braune Flecken. Hitze schlug William entgegen, sie wärmte seine kalten Hände und
     die kalte Nasenspitze, die Wangen. Es war eine Winzigkeit zu heiß, um angenehm zu sein. Er schloß die Ofentür.
    Müde kehrte er zum Schreibpult zurück.
Breviloquium de principatu tyrannico
stand über dem großen, leeren Pergamentstück, seit Stunden. Er hatte sich lange Zeit darüber Gedanken gemacht, wie die Rechte
     von Königen zu denen der Kirche standen, und hatte sich darauf gefreut, seine Erkenntnisse niederzuschreiben. Nun aber dachte
     er fortwährend an den Inquisitor und das Badehaus und Amiel von Ax. Es vergällte ihm die Schaffensfreude. Er tunkte die Feder
     ins Tintenfäßchen und hielt sie über das Leder. Er schrieb:
     
    Mein lieber William, du hast dich fein herausgezogen, wieder einmal. Die Feder ist deine Waffe, ja? Auf dem Schlachtfeld aus
     Pergament bist du mutig. Aber wenn es an Leib und Leben geht, fliehst du wie eine Maus in ihr Loch.
     
    Das Pergament war damit verdorben. Er konnte nur noch den unteren Teil abtrennen und für ein minderwertiges Schriftstück verwenden.
     Er tunkte erneut die Feder ein und kratzte mit dem schwarzgefärbten Kiel über das Pergament. Gebogene |143| Linien, kleine Beine. Eine Maus. An die Nase malte er lange, dünne Tasthaare.
     
    Es ist gut, daß dich das ärgert. Es ist nicht zu spät, um dazuzulernen. Der Ärger kündigt an, daß du wachsen wirst. Du wirst
     es lernen, dich mit allem, was du bist, in die Waagschale zu werfen.
     
    Er versuchte, einen Löwen zu zeichnen. Mit den Augen fing er an, dann malte er die runden Ohren und die Mähne. Die Augen waren
     zu groß, sie reichten auf beiden Seiten bis in die Mähne hinein. Wie machte das Leonhard bloß, der Kalligraph und Miniaturmaler
     des Kaisers? »Nicht das auch noch«, murmelte er. »Es genügt, sich eine Sache abzuverlangen.« Vielleicht war es noch nicht
     ausgestanden mit diesem Amiel. Wenn erneut ein Eingreifen nötig wurde, würde er nicht mehr feige sein.
     
    Hinter Amiel von Ax lag die Leiche seines Sohnes. Ein dunkelroter See kroch über den Boden. Amiel sagte: »Ich habe ihm geholfen,
     verstehst du das?«
    Sie erhob sich hinter der Kiste. Wie eine Säule stand sie da, unfähig, sich zu rühren. Er würde auch sie umbringen. Er würde
     ihr das Beil in den Hals schlagen. Sie spürte schon den Hieb und das warme Blut, das über ihr Kleid herabfloß, obwohl er noch
     ein Dutzend Schritte von ihr entfernt war.
    »Komm, laß uns beten. Du wirst sehen, ich kann beten, ich weiß, daß ich das Richtige getan habe.« Er sagte: »O Herr, richte
     und verdamme die Unvollkommenheiten des Fleisches. Habe keine Nachsicht mit dem Fleisch, das aus der Verderbtheit geboren
     ist, zeige aber Barmherzigkeit mit dem Geist, der eingekerkert ist. Lenke für uns die Tage, die Stunden, die Ehrerbietungen,
     das Fasten, die Gebete und die Predigten, auf daß wir nicht mit den Missetätern beim Jüngsten Gericht verdammt werden. Amen.«
    Der Glatzkopf sagte: »Wir müssen sie still machen.«
    »Nein, laß sie«, sagte Amiel, »siehst du nicht, wie sie sich |144| fürchtet? Du machst es nur schlimmer. Die Arme hat Angst vor uns.« Er kam einen Schritt näher. »Du brauchst keine Angst zu
     haben. Dir geschieht nichts. Wie heißt du?«
    Das Summen der Fliegen wurde immer lauter. Auch bei der Leiche kreisten sie. Da, sie setzten sich auf die Lippen, drei Fliegen
     tummelten sich dort. Aber die Lippen zucken nicht, der Tote duldet die Fliegen, er mußte sie in alle Ewigkeit dulden, bis
     zum Jüngsten Tag.
    Amiel tat noch einen Schritt. In der Hand hielt er das blutige Beil. »Es dauert mich, daß du das hier sehen mußtest. Es dauert
     mich ehrlich. Du hältst mich für ein Scheusal, nicht wahr? Ein Vater, der seinen eigenen Sohn umbringt. Aber er brauchte Hilfe!
     Er hat es allein nicht geschafft. Die Begierden haben ihn gequält. Jetzt ist er frei, seine Seele fliegt zu einem neuen Körper,
     er kann von vorn beginnen. Möchtest du mir nicht deinen Namen verraten?«
    Ihr Atem ging schnell. Das Herz pochte in der Kehle. Sie warf sich herum und rannte.

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    Im Nachbarraum tropfte Wasser von einem Kippeimer in einen halbgefüllten Trog. Drip. Drip. Drip. Drip. Vizenz befingerte die
     Handtücher, die neben ihm auf der Bank lagen. Roch Amiel die Gefahr? Würde er schon

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