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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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straffrei aus, falls man mir nichts nachweisen kann. Eine häßliche Regelung. Daß er seinen Wahrheitseid gebrochen
     hat mit seiner Aussage, kümmert niemanden. Findet Ihr nicht, daß dieses Gesetz geändert werden sollte?«
    »Für heute brauchen wir noch keinen Kläger.«
    »Ich verstehe.« Amiel nickte. »Ihr seid hier, um mich zu ermahnen, von meinem falschen Weg abzulassen. Ich habe Eure Mahnung
     vernommen. Damit ist die
admonitio caritativa
erledigt. Ihr könnt nun über mich herfallen. Sucht Euren Delator. Aber seid gewarnt, ich bin womöglich ein besserer Jurist,
     als Ihr einer seid.«
    »Versteigt Euch nicht auf Verfahrensschritte. Es geht um Eure Irrtümer!«
    »Oh, es geht sehr wohl um Verfahrensschritte. Ihr möchtet |148| doch nicht, daß ich an den Papst appelliere? Oder das Verfahren vor den Kaiser bringe? Ein kleiner Fehler, Vizenz, und Ihr
     fallt darüber. Das verspreche ich Euch.«
    Sie maßen sich mit den Augen. »Noch nie hat es ein Ketzer gewagt, mir derartig zu drohen«, zischte Vizenz. »Es wird mir eine
     Genugtuung sein, Euch niederzuwerfen!«
    Amiel nickte. »Das Vorverfahren ist abgeschlossen. Ihr habt mich ermahnt, also sucht einen Delator und beginnt das Beweisverfahren.
     Wollen wir sehen, wie gut Ihr darin seid, Menschen zu verhören!« Er machte kehrt und trat auf den Bogeneingang zu, der zur
     Treppe führte. »Denkt daran«, sagte er im Gehen, »einem halben Beweis, der
probatio semiplena
, dürft Ihr als Richter auch nur halben Glauben schenken. Und jedem vollen Beweis kann ich einen gleichen vollen Beweis entgegenstellen,
     oder zwei halbe Beweise, die sich zu einer
probatio vera
addieren und damit Euren Beweis aushebeln.«
    Zwei Schergen versperrten ihm den Weg.
    »Laßt ihn gehen«, sagte Vizenz. Sie machten Platz. Er wartete, bis Amiel die Treppe hinabgestiegen war und er die Tür klappen
     hörte. Dann sagte er: »Folgt ihm.«
     
    Adeline lehnte sich an die feuchte Holzwand eines Schuppens. Sie keuchte. Ihre Lunge brannte. Die Beine gaben nichts mehr
     her. Wenn der Abscheuliche jetzt mit dem Beil ausholte, sie hätte kaum noch die Kraft, ihm auszuweichen.
    Sie riß die Augen auf. War da ein Schatten auf ihr Gesicht gefallen? Wieder einer. Fledermäuse. Sie lauschte. Wenn er ihr
     nachschlich, dann tat er es geräuschlos. Vielleicht war er längst an der Ecke. Vielleicht streckte er die Hand aus nach ihr.
     Sie drehte sich um, spähte um den Winkel des Schuppens. Nichts.
    Im Kaiserhof bin ich sicher, dachte sie. Die Wachen ließen niemanden ein. Sie hatte einen weiten Bogen gemacht durch die ganze
     Stadt, aus Angst, daß er ihr Ziel erraten hatte und sie auf der kürzesten Strecke abfing. Nun waren es nur noch zwei Gassen,
     die sie überqueren mußte.
    |149| Er hatte ihr Gesicht gesehen. Sie würde nie wieder ohne Angst durch diese Stadt gehen. Selbst in ihrer Kammer würde sie bei
     jedem Geräusch zusammenzucken. Sie hatte einen Mord beobachtet. Amiel von Ax würde versuchen, sie zu töten.
    Zwei Gassen. Sie sagte sich: Adeline, sei tapfer. Du schaffst das.
    Sie wartete, bis sich ihr Atem beruhigt hatte, dann sah sie wieder um die Ecke. Die Straße lag verlassen da. Wo war der Nachtwächter?
     Jetzt wurde er gebraucht! Was, wenn er Amiel angehalten hatte? Womöglich lag der arme Mann längst in einer Blutlache in irgendeinem
     dunklen Winkel.
    Sie stieß sich vom Schuppen ab und lief los. In rascher Folge sah sie nach links, nach rechts, hinter sich, wieder nach vorn.
     Gott, hilf mir! betete sie in Gedanken. Die erste Gasse. Vorn das Tor mit dem kaiserlichen Wappen. Die zweite Gasse. Jetzt
     würden sie die Wachen hören, wenn sie um Hilfe rief, er konnte es nicht wagen, so nahe bei ihnen über sie herzufallen.
    Adeline erreichte das Tor und schlug hastig dagegen.
    In der kleinen Luke erschien ein Gesicht.
    »Öffnet!« sagte sie.
    Die Tür, die in den linken Torflügel eingelassen war, schwang auf. »Hast du das Riechsalz bekommen?«
    Der Reichsadler auf den Waffenröcken gab ihr Zuversicht. Mit dem Kaiser würde er sich nicht anlegen. Nicht mit dem Kaiser!
     »Ja. Eine gute Nacht Euch.«
    »Dir ebenso, Adeline.«
    Sie hätte dem Wächter um den Hals fallen mögen für das friedliche Gesicht, mit dem er das sagte. Hier war die Welt in Ordnung.
     Hier war sie in Sicherheit.
    Als sie den halben Garten durchquert hatte, hörte sie hinter sich schwere Schritte. Augenblicklich schlug ihr Herz mit doppelter
     Geschwindigkeit. Sie drehte sich um. Es war der Wächter. Er

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