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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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schimpfen.
     Was würde er von ihr denken? Daß sie kein Benehmen kannte und ihn nicht achtete. Aber sie war in Not!
    Adeline klopfte an.
    »Ja«, antwortete es.
    »Ich bin das Kammermädchen, das heute mit dem Boten bei Euch war. Ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden soll. Bitte,
     ich brauche Hilfe.«
    Eine Weile war es still. Dann ging die Tür auf. William Ockham sah alt aus, noch älter als tagsüber. Sein Gesicht war zerfurcht,
     die Augenlider hingen tief. Aber zu ihrer Verwunderung war er nicht wütend. »Komm rein«, sagte er. Der weiße Haarkranz stand
     in wirren Büscheln ab. »Da, setz dich.«
    Es war warm. Auf dem Schreibpult brannte ein Licht. War er noch wach gewesen? Adeline nahm Platz auf dem Truhendeckel. Sie
     redete. Sie erzählte, wie sie Nemo Wasser gebracht, worum er sie dabei gebeten hatte und wie sie zum Schlachthaus gegangen
     war. Als sie den Mord berichtete, war es, als würden ihr kalte Hände den Rücken heraufkriechen. Konnte sie denn William Ockham
     vertrauen? Was, wenn auch er eine Rolle spielte in dem tödlichen Spiel dieses Amiel von Ax?
    Der Engländer wartete, bis sie geendet hatte. Dann räusperte er sich. In seinen Augen stand Wasser, Adeline war sich sicher,
     daß es keine Tränen waren, denn sein Blick war klar. Es mußte mit dem Alter zu tun haben. »Ich habe es befürchtet«, sagte
     er. »Er kennt keine Vergebung. Ein Mensch, der |153| keine Vergebung kennt, schleudert Verderben um sich wie ein Vulkan.«
    »Er hat mich gesehen.«
    »Wir müssen diese Nacht noch stillhalten. Der Inquisitor hat ihm eine Falle gestellt. Wenn wir jetzt Radau schlagen, wird
     er nicht hineintappen.«
    »Er hat ihn getötet, seinen eigenen Sohn!«
    »Wir werden den Mord ahnden, morgen, mit aller Schärfe. Auch Venk von Pienzenau stelle ich zur Rede.«
    »Wie kann es sein, daß ein Mann wie Venk sich dem Bösen anschließt?«
    »Oh, du darfst nicht denken, daß er sich Amiel unterworfen hat. Er spielt mit dem Feuer, das ist alles. Geheimlehren sind
     beliebt unter den Höflingen. Jeder beschäftigt sich mit etwas anderem, selbst die Hofdamen, ob es Zahlenmystik ist oder Zauberei
     oder Alchemie. Morgen wird sich herumsprechen, daß Venk von Pienzenau den Studenten befreit hat, und damit wird der Verdacht
     auf ihn fallen, er habe den Dualisten decken wollen und seine eigene Verbindung zu ihm. Dieses Gerücht macht ihm Freude. Er
     weiß nichts von den Fürchterlichen, die sich die Reinen nennen. Glaub mir, er hält ihre Lehren für ein vergnügliches, schauriges
     Spiel.«
    »Was soll ich machen? Wie kann ich mich vor Amiel verstecken?«
    »Der Kaiserhof ist nicht sicher. Mit Venk auf Amiels Seite können wir nicht einmal den Wachen trauen, er lenkt sie wie Puppen.
     Kannst du irgendwo unterschlüpfen? Hast du Verwandte in der Stadt?«
    »Meine Mutter. Aber ich … wir sind uns fremd. Und ich müßte durch die halbe Stadt laufen, durch die dunkle Stadt. Er wartet
     auf mich da draußen. Ich möchte nicht hinaus. Ich fürchte mich.«
    Der Engländer strich sich über den Nasenrücken. Schließlich nickte er, als habe er einen Entschluß gefaßt. »Du bleibst hier.
     Ich lese noch ein wenig, und du kannst dort auf meinem Bettlager ausruhen.«
    |154| William Ockham, der größte Gelehrte an des Kaisers Hof, erlaubte ihr, einem einfachen Kammermädchen, in seinem Bett zu schlafen?
     »Und wann schlaft Ihr?«
    »Es ist nicht die erste Nacht, die ich lesend zubringe.« Er ging zur Tür und schob den Riegel davor. »Jetzt geh, und leg dich
     hin.« Er nahm ein Buch von einem Stapel und trug es zum Pult. Ohne Adeline weiter zu beachten, öffnete er die Schließen und
     klappte den schweren Deckel auf.
    Sie ging nach hinten, zog die Schuhe aus und legte sich auf das Bettlager. Stroh knisterte. Das Laken war kühl.

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    Aus den Wiesen stieg der Morgennebel auf. Die ersten Sonnenstrahlen blinzelten über den Wald und gaben der Mühlenruine Glanz.
     Sie thronte auf dem Hügel mit ihrem brüchigen Gemäuer und verströmte ein Gefühl von Vertrautheit. Sein Unterschlupf war sie
     gewesen, sein Haus für die vergangenen Jahre.
    In der dunklen Zelle im Kaiserhof hatte Nemo bezweifelt, daß er diesen Ort je wiedersehen würde. Nun stand er am Fuß des Hügels,
     und seine Mühle begrüßte ihn. Hier hatte er sich versteckt Woche um Woche. Hier hatte er gespeist und gehungert.
    Daß es dazu kommen mußte, daß sie geradezu vorherbestimmt gewesen war, sein Unterschlupf zu werden, das

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