Das Mysterium: Roman
an der Tür kehrt machen und wieder verschwinden?
Seine Leute hatten sich verborgen zu halten, bis er ein Zeichen gab. Ein einziges Talglicht war auf einem Beistelltisch plaziert.
Das Licht ersoff auf halbem Wege durch den Badesaal. Vizenz wußte Waffenknechte und Mitarbeiter der Inquisition in der Dunkelheit
am Ende des Saals verborgen, sowie links und rechts des Bogeneingangs. Er selbst saß im Halbschatten und hoffte, daß Amiel
ihn für William Ockham hielt.
Die untere Eingangstür schlug zu. Fackelschein kam die Treppe hinauf und die Schritte eines einzelnen Mannes.
Vizenz umklammerte die Bank. Wie sah Amiel von Ax aus? Er stellte sich einen feisten, schweinsäugigen Mann vor. Er würde salbungsvoll
sprechen und dabei lächeln wie ein Kaufmann, der auf Gold aus war. Dabei war er tückisch. Er schreckte vor nichts zurück.
In Frankreich hatte er erfahrenere Inquisitoren an der Nase herumgeführt.
Ein Mann betrat den Raum, großgewachsen, schlank. Im Fackelschein glänzte sein Bart wie Pech. Das Haupthaar zierten graue
Strähnen. Er warf einen billigen Umhang ab und entblößte darunter einen blauen Kapuzenmantel von bestem Stoff. Seine Augen
erfaßten Vizenz. »Keine Sorge, Meister William, ich bin allein.«
Vizenz begriff sofort, daß dies Amiel von Ax war. Der Mann besaß eine solche Ausstrahlung, daß sie den ganzen Raum erfüllte
wie eine unsichtbare Kraft. Der Kampf beginnt, dachte er. Er stand auf. »Nun, ich für meinen Teil bin |146| nicht allein.« Er schnalzte mit der Zunge. Das vereinbarte Zeichen. Die Schergen traten aus dem Dunkel, und auch er trat in
den Fackelschein.
Offensichtlich hatte Amiel nicht mit einer Falle gerechnet. Sein Blick huschte von Mann zu Mann. »Ihr seid nicht William Ockham«,
brachte er heraus.
Euer erster Fehler, mein Bester, dachte Vizenz. »Ich bin Vizenz Paulstorffer, der Inquisitor der Stadt München, Träger einer
päpstlichen Vollmacht zur Verfolgung und Verurteilung von Ketzern. Man hat mich über Euch in Kenntnis gesetzt. Meine Amtsbrüder
aus Frankreich haben Erschreckendes zusammengetragen. Ich werde dafür sorgen, daß Ihr Euch verantwortet.«
»Sie wissen nichts über mich. Gar nichts.«
»Ehe ich es vergesse: William Ockham dankt für Euren Brief. Er konnte leider nicht erscheinen.«
Amiel von Ax faßte sich. Sein Körper verlor an Anspannung. Er hatte sich wohl entschieden, die anderen außer acht zu lassen,
denn er sah allein Vizenz an. Moosgrün waren seine Augen. »Ich weiß von keinem Brief.«
»Schämt Ihr Euch nicht, so dreist zu lügen? Eure häretischen Lehren sind mir von den Amtsbrüdern aus Frankreich genauestens
mitgeteilt worden. Mag sein, daß es dort an Zeugenaussagen mangelte. Hier aber werde ich Euch zu packen wissen.«
Amiel verzog den Mund. »Ihr meint, mich zu kennen? Kennt Ihr die Opfer, die ich bringe? Kennt Ihr meine Ziele? Nichts wißt
Ihr, gar nichts!«
Etwas mußte seine Wut erregt haben. Das war gut. Es brachte ihn womöglich dazu, Unüberlegtes zu sagen. »Ihr bringt Opfer?
Die Opfer sind die armen Menschen, die Eurer düsteren Lehre verfallen! Ihr führt sie geradewegs in die Hölle, das wißt Ihr
genau!«
»In die Hölle, o ja. Indem ich ihnen helfe, ihre Begierden zu besiegen. Indem ich Stärke wecke, Sünden verurteile. Ich pflanze
Reinheit, Vizenz. Ihr aber könnt nur zerstören.«
|147| Der Ketzer wagte es, ihn, den Inquisitor, anzugreifen. »Teufel!« fuhr Vizenz ihn an. »Ich habe die Aussage einer Frau, zu
der Ihr sagtet, in Ihrem Bauch wüchse ein Dämon heran! Ich werde Euch der Ketzerei überführen. Ihr werdet brennen!«
»Seid nicht so vorschnell. Das ist noch keinem Richter gut bekommen.«
»Wie bitte?«
»Ein Ketzerverfahren kann entweder durch
accusatio
oder durch
denuntiatio
begonnen werden. Ihr werdet keine
accusatio
vornehmen, denn dann würdet Ihr als Kläger die gleiche Strafe erleiden, die ein verurteilter Ketzer erleidet, im Falle, daß
ich meine Unschuld beweise. Eine gute Regelung. Sie verhindert wildes Herumklagen. Aber es gibt ja noch die
denuntiatio
, die man neuerdings für die Ketzeranklagen verwendet. Wenn Ihr mich denunzieren wollt, wo ist Euer Delator?«
Vizenz’ Mund wurde trocken. Die Franzosen hatten die Wahrheit gesagt: Amiel von Ax wußte Bescheid wie ein Rechtsgelehrter
der Universität.
»Soll ich Euch auf die Sprünge helfen? Ihr braucht einen Delator, der erklärt, daß er nicht anklagen will, sondern denunzieren.
Damit geht er
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