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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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hatte er in der dunklen
     Kammer begriffen. Die Mühle war es gewesen. Sie war das große Ding, auf das die Mutter gezeigt hatte. Es hatte Arme besessen
     wie ein Mensch, ein Riese mit vier Armen war es, und die Arme ruderten, kreisten.
    Deshalb hatte er sich all die Jahre zu ihr hingezogen gefühlt. Sie hatte ihn näher an seine Eltern gebracht, sie war seine
     einzige Verbindung zur Vergangenheit gewesen.
    »Erinnerst du dich an den Platz?« fragte Amiel von Ax.
    »Ja.« Die Erinnerung tat weh, denn sie bedeutete Abschied, grausame Trennung. Hier hatte er die letzte Umarmung der Mutter
     erhalten, den letzten Kuß. Danach folgte Kälte.
    »Wo genau ist es?«
    Er ging ein Stück über die Wiese. »Dort war der Fluß. Und hier standen Bäume. Das Buschwerk hat sich verändert, aber es muß
     dieser Platz gewesen sein.«
    »Mitten am Hang?«
    »Damals gab es hier einen Strauch.«
    |156| Amiel von Ax war nicht zufrieden. »Hoffen wir, daß wir nicht den ganzen Tag graben und am Ende mit leeren Händen dastehen.«
     Er wies den Tagelöhnern den Ort, und sie stießen ihre Spaten in den Boden, hebelten, hievten, warfen Erde und Grasbüschel,
     stießen erneut hinein. Es waren Männer, wie Nemo noch vor wenigen Tagen einer gewesen war: ausgemergelte Körper in schmutziger,
     zerschlissener Kleidung. Wirr wachsende Bärte. Die Hände schwielig, die Füße schwarz vor Dreck. Sie begannen zu schwitzen.
    Er wußte, was in ihnen vorging. Sie fragten sich, ob der feine Herr zusätzlich zum vereinbarten Lohn eine Mahlzeit spendieren
     würde, wenn sie besonderen Fleiß zeigten. Sie fragten sich, ob die nächste Woche genauso schlecht laufen würde wie diese.
     Ob sie am Sonntag vielleicht etwas Nahrung erbetteln konnten an den Türen, ohne dabei von der Stadtwache erwischt zu werden.
    »Vorsichtig!« zischte Amiel. »Ihr zerstört es, wenn ihr so hart mit den Spaten in den Boden stoßt.«
    Sie setzten ihre Spaten flacher an.
    Nach einer Weile sagte Nemo: »Das ist zu tief. So tief hat mein Vater nicht gegraben.«
    »Hört auf!« Amiel machte eine schneidende Handbewegung. Als die Tagelöhner innehielten, sah er Nemo an. »Wo also?«
    Er betrachtete die Mühle, den Fluß. Ging einige Schritte. »Hier vielleicht?«
    Die Tagelöhner folgten ihm. Er machte ihnen Platz. Sie gruben los. Es war ein seltsames Gefühl, sie zu beobachten. Würde er
     für Amiel noch Wert besitzen, wenn das Ding gefunden war, das sein Vater vergraben hatte?
    Unsinniger Gedanke! schalt er sich. Amiel hatte ihm einen Botenauftrag gegeben, er hatte ihn den Kaiserlichen aus den Klauen
     gerissen. Es würde weitergehen. Er würde ihm neue Aufgaben geben. Und er, Nemo, würde Weiteres über seine Eltern erfahren
     und am Ende das Ding stehlen, das sein Vater verborgen hatte, und sich nach Paris absetzen.
    |157| Wieder fanden sie nichts. Nemo schlug einen weiteren Grabeplatz vor. Amiels Blick folgte ihm unwillig.
    Da rief einer der Tagelöhner: »Ich habe was!« Er legte den Spaten beiseite, fiel auf die Knie und grub mit den Händen. »Hier.«
     Es war ein schmutziges Lederbündel von der Größe eines Schuhs.
    Amiel nahm es dem Tagelöhner aus der Hand. Er wickelte das Leder auf. Ein Lächeln zog über sein Gesicht. Er hielt einen Hammer
     in die Höhe.
    Nemo stutzte. »Mein Vater hat einen Hammer für Euch aufbewahrt?«
    »Habe ich dir nicht gesagt, daß er Schmied ist?« Amiel strich die Erde herunter, spie auf den eisernen Hammerkopf und rieb
     ihn blank.
    Nemo konnte am Hammer nichts Besonderes erkennen, er trug keine Verzierungen, war nicht von Silber gemacht. Wozu sollte man
     einen gewöhnlichen Hammer vergraben? »Ich verstehe das nicht. Wofür ist er gut?«
    »Du wirst sehen.«
     
    Sie hasteten durch die Straßen. »Das ist ein Geschenk des Himmels«, sagte Vizenz. »Damit haben wir ihn in der Hand!« Mord
     war eine eindeutige Sache. Diesmal würden auch Amiels juristische Spitzfindigkeiten ihn nicht retten. Ob er nun hang oder
     verbrannt wurde, was spielte das für eine Rolle?
    Der Engländer in seiner Mönchskutte schwitzte stark. Er war offenbar keine körperliche Anstrengung gewöhnt. »Mir wäre es lieber
     gewesen, Ihr hättet ihn heute nacht festgesetzt. Ich habe dem Mädchen gesagt, sie kann sich wieder ohne Angst durch die Stadt
     bewegen. Wäre ich nicht zu Euch gekommen, wann hättet Ihr mir gesagt, daß Ihr gescheitert seid?«
    »Nicht gescheitert. Wir mußten ihn nur fürs erste zurücklassen. Aber jetzt holen wir ihn uns. Kommt,

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