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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Mutter wand sich los. »Weil ich nicht weiß, was ich dann
     preisgeben würde.«
     
    Alles, was Mathilde über die Handelsgeschäfte wußte, hatte sie von ihrem Vater gelernt. Nie war ihr Wissen so nötig gewesen
     wie jetzt. Nacht für Nacht saß sie in der steinernen Schatzkammer, rechnete, schrieb in die Bücher, plante. Sie wußte, wer
     in der Stadt Geld benötigte, weil eine Lieferung orientalischer Gewürze aus Venedig anstand. Safran, Pfeffer, Ingwer, Zimt
     und Muskatnuß waren teuer, das Kaufmannsgeschlecht der Ligsalz war dankbar, daß sie ihnen einen Teil des Neuhauser Vermögens
     überschrieb. Sie mußte nicht viel erklären. Binnen Stunden wußte jeder in der Stadt, daß ihr Vater von der Inquisition festgesetzt
     worden war. Mathilde bedachte die großen Handelsgesellschaften, sie verschenkte schweres Tuch und Fardelbarchent an die Ratsmitglieder
     Münchens, sie sandte eine Wagenladung Kupferscheiben an die Nürnberger Kaufmannsfamilie Groß, von der Vater viel hielt, weil
     sie zu Zeiten Kaiser Ludwigs die immense Summe von zehntausend Pfund Heller aufgetrieben hatte, als die englischen Subsidien
     ausblieben. Fehpelze und gegerbtes Korduanleder gab sie Magister Sighart Tückel, dem Stadtschreiber Münchens, der zugleich
     Rechnungsführer der Stadtkammer war. Dem Augustinerkloster schenkte sie Honig.
    Im Juli hatten sie sich noch geärgert, zehn Schilling Strafe an Richter und Stadtkammer zahlen zu müssen wegen eines ungenauen
     Gewichts bei der Waage im Warenhaus. Vor zwei Wochen hatten sie über das erhöhte Schuldgeld geklagt, sechzehn |19| Pfennige im Vierteljahr, für die Zwillinge zusammen zweiunddreißig. Nun verschenkte sie binnen Tagen Vaters gesamten Besitz.
    Die Zwillinge ahnten nicht, wie schlimm es stand. Mathilde sagte ihnen, daß die Mutter verreist sei und der Vater sicher bald
     freikommen würde. Sie half ihnen bei den Schulaufgaben, brachte sie am Abend ins Bett. Natürlich gab es Gerede in der Schule.
     Aber die Zwillinge waren kräftig gebaut; wer es zu arg trieb, den brachten sie mit den Fäusten zum Schweigen.
    Die Zwillinge würden durchkommen. Was war mit ihr, Mathilde? Sie arbeitete hart, um den Fragen zu entgehen, die alles vernichten
     wollten, was ihr wichtig war. In ihrem Bauch aber brannte es. Sie fühlte Zorn und Ohnmacht und große Angst. Sie ahnte, daß
     sie dabei war, Vater und Mutter zu verlieren.
    Wieso war die Mutter davon überzeugt, daß Vater von der Inquisition verurteilt werden würde? Und warum hatte sie mit solcher
     Bitterkeit abgelehnt, einen Advocatus heranzuholen? Kaum daß sie aus der Stadt gewesen war, hatte sie, Mathilde, sich auf
     die Suche nach einem Rechtsgelehrten gemacht. Drei hatte sie gefunden. Den, der den höchsten Preis verlangte, wählte sie aus.
     Verloren sie den Prozeß, dann war sowieso alles Geld fort. Gewann der Advocatus aber Vaters Freiheit zurück, war jeder Preis
     dafür recht.
    Nur was war mit Mutter geschehen? War sie nicht noch vor Tagen voller Freude Vaters Ehefrau gewesen? Sie hatte ihm sein Kissen
     frisch mit Federn gestopft. Sie hatte ihn bewundert für die neu eingerichtete Handelsroute für Kupfer von Schwaz und Kundl
     im Inntal über München nach Nürnberg. Sie hatte ihn geküßt, als er ihr überraschend ein grünes Seidenband mitbrachte, und
     lachend gesagt, Grün sei die Farbe der Jugend.
    Es mußte am Tag passiert sein, als der Alte auftauchte. An diesem einen Tag.
     
    Der Saal des Bischofspalasts erinnerte an das rußgeschwärzte Innere eines Ofens. Decke und Wände waren von braunen Eichentafeln
     bedeckt. Säulen von dunklem Holz stützten den |20| Saal. Selbst die weißgetünchten Steine rings um die Spitzbogenfenster waren grau geworden von Jahrzehnten angesammelten Staubs.
    Die Bänke, auf denen Mönche, Kaufleute und Ritter saßen, knarrten, wann immer sich jemand bewegte. Mathilde hockte eingeklemmt
     zwischen einem knochigen Edelmann und einem fettleibigen Händler. Der Schenkel des Händlers quetschte ihr Bein, seit Beginn
     des Prozesses preßte er sich gegen sie und benetzte ihr Kleid mit seinem Schweiß. Der Händler schien es nicht zu merken.
    Sie war gefangen in diesem dunklen Saal. Niemand stand ihr und Vater bei. Der Advocatus hatte ihr vor zwei Tagen das Geld
     zurückgegeben und gesagt, daß er nichts tun konnte. Er wollte nicht einmal mehr als Beobachter am Prozeß teilnehmen und überwachen,
     ob alles mit rechten Dingen zuging. Sie sah es ihm an: Er fürchtete sich vor etwas.

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