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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Brennerpaß führte. Es war Mittwoch. Bauern aus den Weilern boten auf dem Wochenmarkt Milch feil, Butter, Eier, Rüben,
     Äpfel, Käse. Vor dem prachtvollen Markthaus der Familie Impler standen fünf Karren mit Weinfässern; diesen Teil des Marktplatzes
     nannte man im Volksmund »Wein markt «. Wer gut gekleidet und mit prallem Geldbeutel dort hinging, bekam eine Weinprobe eingeschenkt und wurde vom Händler fest
     umarmt, ganz so, als gehöre er zur Familie.
    Fische wurden verkauft, silbrige pralle Leiber, ohne Lücke nebeneinander aufgereiht. Im Wasserfaß lebten noch einige. Häute,
     Felle, Bälge gab es zu kaufen. Reisigbündel. Körbeweise Kohlen, von Männern, die schwarz waren im Gesicht und an den Armen.
     Getrocknete Kirschen gab es, Honig, Tongeschirr, Schmalz, lebende Hühner.
    Der Marktplatz war das Herz Münchens. Die Stadtbewohner kamen herbei, in Scharen, wogen in den Händen, befühlten, kosteten.
     Sie öffneten ihre Geldsäckchen und zogen Münzen hervor. Kauften, rafften. Füllten ihre Körbe und Bündel.
    Rings um den Marktplatz befanden sich dichtgedrängt Weinkeller, Geschäftshäuser, überwölbte Bogengänge, in denen sich Krämer,
     Tuchscherer, Seiler, Schneider und Kürschner mit ihren Verkaufstischen eingemietet hatten. Da war die Ratstrinkstube, da war
     die Hütte der jüdischen Geldwechsler. Neben dem Ratsturm arbeitete in mehreren Gebäuden die Stadtverwaltung.
    Nemo sah all das und dachte: Ich gehöre dazu, ich bin ein Stadtbewohner wie sie. Er trug ein Säckchen mit Silbermünzen am
     Gürtel. Er war interessant für die Bauern, für die Händler, die Handwerker. Er konnte Dinge kaufen. Konnte auswählen, was
     ihm schmeckte, gebratene Gänseleber mit Äpfeln und Zwiebeln an der Bude dort drüben oder Nußkuchen oder ein Bier. Er konnte
     es bezahlen und verzehren. Die Stadt spie ihn nicht mehr aus in der Nacht. Sie duldete ihn, umsorgte ihn.
    Sie gab sich zufrieden mit seiner Oberfläche. Mit dem Anschein, |206| den er sich gab. Darunter lagen Verflechtungen, die ihn jeden Tag das Leben kosten konnten. Amiel hatte ihn gefunden. Wenn
     Amiel wußte, daß er zum Orden gehört hatte – wer wußte es dann noch?
    Die Arbeit für den Perfectus, wie er sich nannte, war nicht schwer. Er mußte Stiefel fetten, den Mantel ausbürsten, die Stube
     kehren, einkaufen. Amiel schlug ihn nicht, wie es andere Herren mit ihren Dienern taten, und er brüllte ihn nicht an. Andererseits
     erwies es sich als schwer, einen Blick hinter die Fassade dieses Mannes zu erhaschen. Weder hatte er in Erfahrung gebracht,
     was Amiel über den Verbleib der Eltern wußte, noch hatte er das wahre Ziel von Amiels Aufenthalt in München entlarven können.
    Auf welche Weise hing der Fremde mit den Geheimnissen des Ordensmeisters zusammen? Der Spitalorden vom Heiligen Geist war
     nicht zufällig untergegangen. Es hatte für jedermann so ausgesehen, ganz nach dem Wunsch der Kirchenmächte. Die Chorherren
     vom Heiligen Geist aber waren einer nach dem anderen verschwunden, weil man den Orden auslöschte, weil man mit der Totensense
     dazwischenfuhr. Warum, das hatte er damals nicht verstanden. Er wußte nur eines: daß er nicht mit dem Orden untergehen wollte.
     Deshalb war er abgetaucht.
    Gelächter scholl über den Platz. Bei den Köhlern hatte sich eine Traube von Menschen versammelt. Was war dort los? Er ging
     zur Menschenmenge hinüber, stellte sich auf die Zehenspitzen, um über die Köpfe hinwegzuspähen.
    Ein langer, dünner Kerl stand dort. Er stieß einen Schrei aus, spreizte die Finger. Etwas Lebendiges steckte in seinem Hemd.
     Es wölbte den linken Arm, beulte den Bauch, die Brust. Der Kerl zuckte, machte ein Gesicht, als litte er Schmerzen. Schließlich
     zeigte sich an seinem Hals ein Wieselkopf. Die Menge lachte. Der Mann ergriff das Wiesel im Genick und zog es heraus. Es entblößte
     seine spitzen Zähnchen.
    »Flink wie ein Wiesel«, sagte er. »Das bin ich. Wer von euch ist schneller? Wer tritt gegen mich an? Wir laufen um die Wette |207| rings um den Marktplatz. Ich fordere euch heraus, Münchner. Setzt mir den schnellsten Läufer entgegen, den ihr habt!«
    In der Menge wurden Namen laut. »Herwig! Herwig ist der Schnellste!«
    »Nein, Anton Taufkirchner ist schneller.«
    »Was ist mit Lienhart, dem Sohn vom Leismüller?«
    »Den Ewald schlägt keiner. Der ist doch Läufer für den Stadtrat!«
    Der Kerl sagte: »Ihr könnt Wetten abschließen. Bei mir. Zehn Pfennige gegen zwei, daß ich euren

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