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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Läufer besiege.«
    Adeline wollte ihn treffen. Etwas in seinem Bauch zog sich zusammen. Er sehnte sich nach ihr, nach der kleinen weichen Hand,
     nach ihrem Lächeln. Daß sie ihn treffen wollte, bedeutete es, daß er ihr gefiel?
    Zwei Knaben zu Nemos Seite zählten laut: »Fünfundvier zig , sechsundvierzig, siebenundvierzig – los, gib auf! –, achtundvierzig, neunundvierzig – deiner ist schon ganz blau!« Sie hatten
     sich jeder ein Hanfband um den Zeigefinger gewickelt. Tatsächlich verfärbten sich die Finger. Die Knaben schüttelten ihre
     Hände vor Sorge, hielten die Fäden aber straff und zählten weiter. Keiner wollte aufgeben. Den Läufer sah er nicht mehr, der
     war umringt von Münchnern, die ihm Wettgelder zusteckten.
    Da berührte ihn eine Hand am Rücken. Es war keine lange Berührung, und sie war so sanft, als wäre sie fast nicht geschehen.
     Dennoch brachte sie sein Herz zum Stehen. Er drehte sich um.
    Sie sah ihn an. Lächelte. »Heinrich«, sagte sie, nichts weiter.
    Wenn er sich ihr doch nur offenbaren könnte! Was nützte es, daß sie den Studenten Heinrich liebte! Schweiß brach ihm aus.
     Er sagte: »Schön.« Und dann: »Ich grüße dich.«
    »Wollen wir ein wenig über den Markt spazieren?«
    Sie gingen los. Nemo hörte und sah nichts, der Markt war plötzlich fort. Er nahm nur Adeline wahr, ihr kindliches Gesicht,
     den Glanz der Augen, die Schritte, jeden ihrer Schritte liebte er. Er dachte: Sie bringt mich durcheinander, ich sollte |208| sie meiden! Aber während er das dachte, wollte er es nicht, nie und nimmer wollte er von ihr lassen.
    »Geht es dir besser? Du hattest doch Schmerzen.«
    »Meine Rippe? Das tut nicht mehr weh.« Es tat noch weh, jeden Tag. Aber er hatte sich daran gewöhnt. Er hatte seine Atmung
     daran angepaßt, wußte genau, wie er sich bewegen mußte, um möglichst keinen Schmerz hervorzurufen. Und in diesem Augenblick,
     während Adeline neben ihm herging, schmerzte nichts. »Hast du den Schnelläufer gesehen? Er ist mutig, nach München zu kommen.
     Wir haben gute Läufer hier.«
    »Ein Schnelläufer ist das? Ich habe mich schon gefragt, was die Menschentraube bedeutet. Bin zu klein, ich sehe da nichts.«
    »Adeline, darf ich dich um etwas bitten? Nenne mich Nemo. Ich heiße nicht wirklich Heinrich.«
    »Warum hast du dich Heinrich genannt?«
    »Ich kann dir das heute nicht sagen. Vielleicht später einmal. Versprichst du mir, daß du mit niemandem darüber redest?«
    Sie zögerte. »Ich verstehe das nicht.«
    Warum zögerte sie? Seine Sinne erwachten. Er sah den Marktplatz wieder, roch das schmutzige Gefieder der Hühner, hörte die
     Werberufe der Verkäufer. Etwas stimmte nicht an diesem Zögern. Adeline dachte nicht nur an sich, sie dachte an jemand anderen.
     Hatte sie jemandem versprochen, von ihrer Begegnung mit ihm zu berichten?
    Er drehte sich um. Zwei kräftige Männer traten hinter ihnen an einen Stand mit Tongeschirr. Sie nahmen Krüge auf und besahen
     sich die eingebrannten Kerbemuster. Männer, die sich für Tongeschirr interessierten? Ihm wurde schlecht. Er steckte in Schwierigkeiten.
    Wie konnte ihm Adeline das antun? War ihre Zuneigung von Anfang an gelogen gewesen? Sie hatte ihm geholfen, als er von William
     Ockham gefangengesetzt worden war, sie hatte für ihn Amiel aufgesucht!
    Er sah nach vorn. Denk nach, befahl er sich. Er mußte aus dieser Schlinge schlüpfen. Die Enttäuschung über Adeline |209| hatte zu warten, sie durfte ihn jetzt nicht ablenken. Vor ihnen lief ein Jude mit gelbem Hut und Schläfenlocken. Er übertrieb
     es mit den Erkennungszeichen. Gehörte er zur Falle? Nemo besah ihn genau. Blitzte da am Kragen nicht eine Reihe von Eisenringen?
     Der »Jude« trug ein Kettenhemd unter dem Wams! In dem Bündel, das unter seinem Arm klemmte, war sicher ein Schwert verborgen.
     Verdammt!
    Er löste das Säckchen von seinem Gürtel und hob es in die Höhe. »Das Geld verdopple ich! Ich setze auf Ewald. Wetten, der
     schlägt den fremden Läufer?« Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er Adelines Arm und zog sie mit sich. Er ging zwischen zwei
     Verkaufstischen hindurch. Lachte, um die Verfolger zu beruhigen.
    Adeline sah ihn verstört an.
    Er schob sich in die Menschentraube, hob noch einmal das Säckchen über die Köpfe und rief: »Ich setze!« Dann aber bog er inmitten
     der Meute ab, ging nicht mehr in Richtung des Läufers, sondern wandte sich zum Rand des Marktplatzes hin.
    Mit gezielten Knüffen und Ellenbogenstößen

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