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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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und hoffte, daß diese Anerkennung seine Zerrissenheit
     heilte. Aber bedeutete Liebe nicht, dem anderen Gutes zu wollen? Wann hatte er sich darum geschert, wie er Adeline helfen
     konnte? Wann hatte er sich gefragt, was für sie das Beste war? Immer war es ihm nur um ihn selbst gegangen.
    Auch jetzt saß er hier und heulte um sich. Adeline hatte er einfach stehengelassen. Wie ging es ihr? Geküßt und dann fortgestoßen
     zu werden – würde sie sich nicht betrogen fühlen und ungewollt? Er wischte sich über die Augen und sah nach ihr. Sie hatte
     ihm den Rücken zugekehrt, stand an der Luke.
    Er erhob sich und näherte sich ihr. Beim Geräusch raschelnden Heus zuckte sie zusammen, blieb aber stehen. Was sagte sie da,
     zum Fenster hin?
    »Der Herr ist mein Hirte, nichts schadet mir. Er hat mich |227| an einen Platz mit frischem Gras geführt und gibt mir köstliches Wasser.«
    »Ich kann mich selbst nicht verstehen«, sagte er. »Ich weiß nicht, wie das gerade geschehen konnte.«
    Sie nickte, ohne ihr Reden zu unterbrechen. »Er hat meine Seele mit Gutem beschert. Er leitet mich auf der Straße des Rechtes,
     um seines Namens willen.«
    »Was sagst du da auf?«
    »Den dreiundzwanzigsten Psalm. Die Gräfin hat eine deutsche Fassung, die ich ihr manchmal vorgelesen habe.«
    »Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Ich hätte dich nicht küssen sollen.« Er stockte. »Oder nicht wegstoßen.« Was redete
     er hier? Aber er hatte das Bedürfnis, bis auf die Knochen ehrlich zu sein gegenüber Adeline. »Ich bin zerissen in mir drin.
     Ich weiß, daß ich dir nicht weh tun möchte. Das möchte ich wirklich nicht.«
    »Siehst du die Hirten dort?« Sie zeigte auf den Berghang. »Sie rufen, darum teilen sich die Schafe auf in zwei Herden. Jedes
     Schaf geht mit seinem Schäfer. Sie folgen der Stimme, die sie kennen. So ist es auch mit uns und Gott. Wir kennen seine Stimme,
     und darum folgen wir ihm. Davon handelt der Psalm.«
    »Ich habe sie nie gehört, die Stimme von Gott.«
    »Wenn du ganz still bist, hörst du sie. Manchmal.«
    Sie schwiegen. Draußen riefen die Schäfer ihre Tiere. Die eine Herde strömte hangaufwärts, die andere in die Senke hinab.
     Nemo lauschte, aber etwas anderes als das Blöken der Schafe und die Rufe der Hirten und das Kläffen der Hütehunde hörte er
     nicht.
    »Verlangt es dich nur nach mir? Oder hast du mich wirklich gern?« Ihre Stimme zitterte.
    Nemo schluckte. Er faßte nach ihrer Schulter, wagte dann aber nicht, sie zu berühren. »Adeline, ich habe nie jemanden geliebt
     so wie dich.«
    Sie drehte sich um und sah ihn an. In ihren Augen standen Tränen.
    Er sagte: »Ich bin ein Schurke, das solltest du wissen. Ich |228| habe viele Menschen belogen. Mich eingeschlossen. Oft weiß ich nicht, was richtig ist. Ich weiß, ich bin kein guter Mensch.
     Aber ich weiß, daß ich dich liebe.«
    Sie näherte sich seinem Gesicht. Dann gab sie ihm einen Kuß auf den Mund, so sanft, daß es sich anfühlte, als habe ein Schmetterlingsflügel
     seine Lippen gestreift. Sie trat wieder zurück.
    »Ich habe das nicht verdient«, flüsterte er.
    Sie nickte. »Doch, das hast du.«
    »Ich werde bald die Stadt verlassen, für immer. Ich mache mich auf die Suche nach meinen Eltern.« Er zögerte. »Willst du –?«
     Er brach ab.
    »Ich komme mit dir.«
    »Das willst du tun?«
    Sie sah zu Boden. »Wenn mich Amiel nicht vorher umbringt.«
    »Ich muß ihm nur noch etwas abjagen, das mir gehört. Dann können wir verschwinden. Er wird uns nicht finden. Ich bin ein Meister
     im Verstecken.«
    »Hast du seine Sachen durchsucht?«
    »Ja. Ich habe ein grausiges rotes Buch gefunden, und geheime Dokumente.«
    »Du könntest gegen ihn aussagen vor der Inquisition, und wir wären ihn los!«
    »Sobald er festgesetzt wird, nehmen sie das mit, das mir gehört, und ich gelange nie wieder daran.«
    »Ich könnte dafür sorgen, daß du es erhältst.«
    »Es dauert nicht mehr lange, Adeline. Ich weiß jetzt, wo es ist, ich muß nur noch einmal an seine Truhe gelangen. Bitte vertraue
     mir!«
     
    Amiel zerdrückte die weichen, weißen Körner mit der Zunge. »Wie nennt Ihr es?«
    »Reis. Kaufleute bringen es aus dem fernen Kastilien. Eine köstliche Speise, nicht wahr? Auch das Gewürz ist teuer und von
     weit her. Man nennt es Muskatnuß.«
    |229| Er nahm eine weitere Handvoll. Die weißen Körner klebten aneinander. Sie zu essen machte durstig. Er trank einen Schluck Wein.
     Venk von Pienzenau sparte an nichts. Es war der

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