Das Nazaret-Projekt
oder Lungenentzündung können wir uns schlecht leisten, Bruder Suntide«, dröhnte Brock lachend. »Kommen Sie herein, Reverend, ich muss Ihnen kurz etwas zeigen!«
Telly betrat den hell erleuchteten Flur und schloss das massive Schott hinter sich. Wohlige Wärme empfing ihn und das tat verdammt gut. Er rieb seine klammen Finger verlegen aneinander, während ihn Nathans kalte Adleraugen prüfend zu mustern schienen.
»Sie sehen etwas bedrückt aus, mein Lieber. Ich glaube, ein wenig Aufmunterung könnte Ihnen jetzt nicht schaden. Kommen Sie mit mir unter Deck!«
Mit diesen Worten wandte er sich um und drückte auf den Knopf für einen Lift, der die zahlreichen Ebenen untereinander verband. Telly folgte in die geräumige Kabine.
»Sie müssen wissen, Reverend, dass wir schon seit geraumer Zeit geeignete Beiträge zur Programmgestaltung unserer Fernsehstation zusammentragen, die schon bald ihren Betrieb aufnehmen wird. Einer unserer zahlreichen Korrespondenten im mittleren Osten hat uns eine Videoaufnahme zugespielt, die angeblich nicht nur Seltenheitswert besitzt, sondern auch noch ausgesprochen lustig sein soll. Zumindest mein Chefredakteur scheint dieser Meinung zu sein. Er denkt, dass dieser Beitrag recht gut in unser News-Konzept passen würde. Mal sehen, ob wir beide auch dieser Auffassung sein werden! Bei der Gelegenheit können Sie sich auch gleich unser neues, supermodernes Sende- und Aufnahmestudio anschauen, haben Sie Lust? Immerhin könnte das in nächster Zukunft auch Ihr Arbeitsplatz werden. Wir haben alles an neuester Technik, sogar solche, die es noch gar nicht gibt!«
Wieder dieses dröhnende Lachen, das mühelos den Lift zum Stehen brachte und sogar die Schiebetüre öffnete.
*
Schwacher Geruch von Ozon, Kunststoff und Metall. Regie- und Schneideräume hinter gläsernen Wänden, Monitore, digitale Mischpulte, Computerkonsolen, antistatische Bodenbeläge und vor allem: TV-Kameras, Mikrofone und bunte Scheinwerfer. Die größte Versuchung für aufgeblasene Egos jeder Couleur. Telly fühlte sich in dieser Umgebung sofort zuhause.
Ein nervöser, zappeliger Bursche mittleren Alters – Dreitagebart, Halbglatze, dicke Intellektuellen-Hornbrille und ein Pferdeschwänzchen, mit dem sich Kreative gern schmücken – führte sie in einen unbesetzten Schneideraum und bat sie, vor einem großen LCD-Bildschirm Platz zu nehmen.
»Darf ich die Herren bekannt machen?«
An Brocks Manieren gab es bis jetzt nichts auszusetzen.
»Das ist mein Chefredakteur Enzo Berlusconi, dessen Arbeit und Engagement ich sehr zu schätzen gelernt habe. Das, mein lieber Berlusconi, ist der berühmte Gottesmann und begnadete Prediger aus Kalifornien, Reverend und Ordensritter Telly ›The Truth‹ Suntide!«
Enzo machte große Augen, hörte einen Augenblick auf zu zappeln und grapschte erfreut nach Tellys noch immer kalter Hand.
»Willkommen, Sir. Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen. Ich habe schon viel von Ihnen gehört!«
Suntide fühlte sich geschmeichelt und Enzo begann unverzüglich, auf Knöpfe zu drücken und an Reglern zu fummeln. Dann wandte er sich an Nathan Brock: »Ich dachte mir, dass diese kurze Dokumentation hier sehr gut in unser vorläufiges Format ›Gottes Gerechtigkeit‹ passen würde. Was Sie jetzt gleich sehen werden, ist eine Videoaufzeichnung, die über die hochauflösende Optik einer elektronischen Zielerfassung gemacht wurde, die mit einer Präzisionswaffe gekoppelt war. Der Bursche im Fadenkreuz ist der berüchtigte Abu Said, ein Terrormullah, der bis vor kurzem sein Unwesen auf den Philippinen getrieben hat. Eigentlich sollte er von den Spezialisten der Antiterroreinheit, die diese Aufnahmen gemacht haben, aus dem Verkehr gezogen werden. Aber sehen Sie nur, wie Gott seine Rache gelegentlich selbst in die Hand nimmt!«
Von einem leicht erhöhten Standort aus bot die Kameraoptik einen Blick auf eine subtropische Dschungellichtung, auf der sich ein typisches, malaysisches Dorf befand. Die schlichten Bambushütten gruppierten sich um einen zentralen, offenen Platz. Dieser Platz füllte sich gerade zunehmend mit verwegen aussehenden, bärtigen Piraten und Kämpfer-Gestalten, alle schwer bewaffnet und offenbar freudig erregt. Die Männer schienen ein Ereignis feiern zu wollen, vermutlich einen erfolgreichen Terroranschlag oder Raubzug.
Auf dem offenen Vorbau einer der Hütten erschien ein hoch gewachsener, beleibter Mensch in weißem Kaftan und weißem Turban. Ein schneller Zoom brachte die
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