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Das Nazaret-Projekt

Das Nazaret-Projekt

Titel: Das Nazaret-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Hanf
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sich Ärger in Suntides Gefühlen, aber er besann sich auf die Höflichkeit, die er als Gast dem Hausherren schuldig war und folgte brav dem zielstrebigen Schritt des energischen kleinen Mannes.

    *

    Eine Stunde später, nachdem er sich geduscht und umgekleidet hatte, fand sich Telly Suntide wie verabredet in der sogenannten Bibliothek ein; gleichermaßen hungrig wie erwartungsvoll. Brock hatte nämlich angekündigt, ihn endlich in alle Einzelheiten des Projektes ›Nazaret‹ einzuweihen. Obendrein hatte er ihm für den selben Abend eine außergewöhnliche Begegnung versprochen, die möglicherweise sein weiteres Leben entscheidend beeinflussen würde.
    »Und keine Angst«, hatte er grinsend hinzugefügt, »diesmal gibt es keine Ritterspiele und Logenrituale!«
    Der Raum, den Telly dann betrat, war durchaus eine ansehnliche Bibliothek mit einem offenen Kamin, in dem ein gemütliches Feuer brannte, mit bequemen, dunkelgrünen Ledersesseln, kleinen Rauchtischchen und Stehlampen. In der Mitte des Raumes war eine festliche Tafel aufgebaut, die für sieben Personen gedeckt war.
    Telly war offenbar ein paar Minuten zu früh gekommen, denn außer ihm schien noch niemand anwesend zu sein. Neugierig schlenderte er mit auf dem Rücken verschränkten Armen die massiven Holzregale entlang, um die zahlreichen Bücher näher zu betrachten. Aus verborgenen Lautsprechern erklang mit einem Mal leise, klassische Musik, die Telly bestens vertraut war und die er wegen ihrer angenehm entrückenden und beruhigenden Wirkung sehr schätzte – Bachs ebenso grandiose wie rätselhafte musikalische Monologe, geschrieben für ein einziges Violoncello und gespielt von Paul Tortellier in einer seltenen Aufnahme aus der Mitte des letzten Jahrhunderts.
    Nur ein Zufall oder steckte da eventuell Brocks Absicht dahinter, ihn bei Laune zu halten?
    Über dem offenen Kamin hing ein Ölgemälde in opulentem Goldrahmen, dessen Motiv den Triumph des lanzenbewehrten Heiligen Georg über den hässlichen Drachen darstellte. Es besaß die Ausstrahlung einer religiösen Kostbarkeit, ganz ähnlich einer Jahrhunderte alten Ikone.
    Telly liebte dieses Motiv und seine Symbolik mehr als alle anderen religiösen Darstellungen, und deshalb zierte es auch die Apsis seiner Privatkapelle in Santa Monica.
    Wieder nur ein Zufall?
    Er trat näher heran, um nach der Signatur des Künstlers zu forschen. Und wie ein scharfkantiges Stück Gips, das sich unerwartet von der Stuckdecke löste und seinem Betrachter auf den Kopf fällt, so traf ihn die plötzliche Erkenntnis, dass dieses Gemälde mit ›T. Suntide‹ signiert war!
    Das konnte wohl kaum mehr als Zufall bezeichnet werden!
    Dann geschah etwas sehr Merkwürdiges, das ihn völlig aus der Fassung brachte. Während er auf dieses Bild starrte, schien es sich vor seinen Augen unvermittelt in einen überaus klaren Spiegel seines Wesens zu verwandeln. Schonungslos und deutlich wie nie zuvor in seinem Leben erkannte er darin sein wahres Gesicht und das Ausmaß seiner inneren Hässlichkeit. Er sah das traurige Lügengebäude seiner Anmaßung, ein direkter Nachfahre des Heiligen Georg zu sein. Den Größenwahn und Hochmut seines aufgeblasenen Sendungsbewusstseins und die Lächerlichkeit seines geheimen, ach so christlichen Ritterordens. Die Selbstgefälligkeit innerhalb seiner Erwartungshaltung, gegründet auf nichts weiter als seinem starren Konzept, das er göttliche Wahrheit nannte. Seine ganze falsche Persönlichkeit – ein substanzloses Hologramm, ständig beschäftigt mit dem unbegreiflichen Versuch, den Namen Telly Suntide auf fließendes Wasser zu schreiben. Tränen schossen in seine Augen und völlig kraftlos sank er in die Knie.
    Zum ersten Mal in seinem Leben erfuhr der Reverend den wahren Geschmack des heiligen Gefühls der Demut und der Reue, zum ersten Mal kniete er nicht auf den Stufen eines prachtvollen Altares, auf dem gewöhnlich nur sein übergroßes, spiritualisiertes Ego thronte.
    Er sah seine jahrzehntelange, vergebliche Suche nach dem wahren Ich, die nun schlagartig in der schmerzhaften Erkenntnis endete, dass so etwas wie ein essentielles und bleibendes ICH überhaupt nicht existierte! In seinem Inneren gab es nichts als lauter kleine durcheinander wuselnde Egos, die sich jeweils nach Laune und Opportunität gegenseitig bekämpften oder Allianzen schlossen.
    Tellys Körper, der sekundenlang von heftigen Krämpfen geschüttelt wurde, begann sich langsam wieder zu entspannen. Er hatte nicht die leiseste

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