Das Nazaret-Projekt
fortfahren.«
Der Doktor nahm den Faden wieder auf und wandte sich nun den wissenschaftlichen Feinheiten der Genforschung zu, vor allem dem Aspekt der Auswahl und Verbesserung von Erbanlagen. Das war eine Materie, von der Telly zwar auch nicht mehr Ahnung hatte als seine Großmutter, was ihn aber nicht davon abhielt, gelegentlich in seinen Predigten dagegen zu Felde zu ziehen. Seiner Meinung nach sollte der Mensch nicht versuchen, dem Schöpfer ins Handwerk zu pfuschen.
War diese Gesellschaft am Ende nichts weiter als eine Bande von pseudoreligiösen Häretikern?
Ein wenig frustriert widmete er sich dann entschlossen wieder einem der wirklich wesentlichen Dinge des Lebens, nämlich seinem dampfenden und wohlgefüllten Teller aus Meissner Porzellan.
Im Gegensatz zu dem vorzüglichen, saftigen Chateau Briand wurde der Vortrag des Doktors nun zunehmend trockener und Telly folgte den Ausführungen nur noch mit halbem Ohr. Es gab da ein Spiel aus seinen Kindertagen, das er beibehalten hatte und das zu einem kleinen, heimlichen Tick des Predigers geworden war. Es galt, beim Essen die einzelnen Bestandteile eines Menüs immer alle in paritätischem Mengenverhältnis gleichzeitig auf die Gabel oder den Löffel zu nehmen, so dass zuletzt keines dieser Bestandteile alleine übrig bleiben würde oder vertilgt werden müsste. Eine durchaus angemessene Beschäftigung also für einen Prediger und Logengroßmeister, weil sie zumindest Augenmaß und einen gewissen Realitätsbezug erforderte.
Als Dr. Rademacher seinen Vortrag endlich beendete, hatte Telly gerade entsprechend den heimlichen Spielregeln seinen Teller leer geputzt. Nathan Brock applaudierte kurz und der Doktor eilte erleichtert an seinen Platz zurück, um dann leicht verdrossen in seinem nunmehr kalt gewordenem Essen herumzustochern. Butler James brachte derweil den dritten Gang auf den Tisch.
Nathan erhob ein Glas Rotwein und prostete dem Wissenschaftler zu. »Vielen Dank, verehrter Bruder Rademacher! Das war ein brillanter Vortrag. Ich nehme an, Mr. Suntide, dass Ihr Wissensdurst nun schon ein klein wenig gestillt worden ist, zumindest, was die Machbarkeit unseres Vorhabens betrifft! Wir könnten nun leicht den ganzen Abend so fortfahren und sämtliche kompetenten Fachleute aller Richtungen über weitere Grundlagen referieren lassen – vor allem unseren hochgeschätzten Reproduktionsmediziner Professor Edwin Pinzgauer, der zweifellos zu den Besten seines Faches gehört! Meiner Meinung nach können wir das uns und Ihnen fürs Erste ersparen. Lassen Sie mich stattdessen eine kurze, grobe Darstellung des Projektes ›Nazaret‹ und der vorläufigen Ergebnisse präsentieren.
Ich gehe davon aus, dass es mittlerweile für Sie kein Geheimnis mehr sein wird, wer hinter dem Diebstahl des berühmten Turiner Leichentuches steckt. Nun, der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel, für diesen Fall gilt das sogar ganz im Sinne des Wortes. Diese notwendige Aktion wurde von Bruder Wolf Jablonsky hier und seinen Leuten ausgeführt, natürlich generalstabsmäßig perfekt geplant und ausgeführt, so wie alles, was Jablonsky anpackt! Er war früher einmal Kommandant einer deutschen GSG-9 Einheit, wenn Ihnen das noch etwas sagt. Er ist unser starker Arm, unsere Exekutive, unser Krieger, wenn Sie so wollen.
Hier, auf der Basis ›Nazaret‹, kam das Tuch dann sofort in die kundigen Hände von Doktor Rademacher und seinem Team, die das Genmaterial in einem sorgfältigen Verfahren isoliert und aufbereitet haben. Anschließend schlug die Stunde des Professors Edwin Pinzgauer und seiner Leute, die dafür Sorge trugen, dass das Erbgut in eine lebende, menschliche Eizelle transferiert werden konnte. Diese Eizelle ist dann vor einigen Wochen in die Gebärmutter einer geeigneten weiblichen Person implantiert worden. Es hat sich mittlerweile ein gesunder, männlicher Fötus daraus entwickelt, der auf natürliche Art im Schoße seiner Mutter erstaunlich schnell wächst und gedeiht. Vielleicht interessiert Sie die Parallele zur biblischen Überlieferung, Reverend, denn auch diesmal handelte es sich wieder um eine unbefleckte Empfängnis!«
Nathan Brock blickte mit stolzem Lächeln auf Telly, der plötzlich all seinen Appetit verloren zu haben schien. Er legte bedächtig sein Besteck auf den Teller und richtete sich auf.
»Wenn ich eine bescheidene Frage stellen darf, Mr. Brock; wird das Erlöser-Baby schwarz oder weiß sein? Oder vielleicht sogar gelb, mit niedlichen, kleinen
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