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Das Nebelhaus

Das Nebelhaus

Titel: Das Nebelhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Berg
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Ernst der Lage klar. Leonie ging davon aus, dass er und sie im Grunde schon zusammengehörten und er sie genauso liebte wie sie ihn. Noch während er überlegte, wie er ihr möglichst schonend beibringen konnte, dass sie nicht mehr ganz dicht war, erklärte sie sich selbst zu seiner Muse. Große Künstler bevölkerten mit einem Mal das kleine Gästezimmer, von Salvador DalÍ über Pablo Picasso bis Ernest Hemingway, deren Leistung allesamt durch Musen potenziert worden war. Timo verkniff es sich, Leonie darauf hinzuweisen, dass Hemingway und Picasso im Laufe ihres Lebens mehrmals die Musen gewechselt hatten.
    Er war in einer absurden Situation. Was habe ich bloß getan?, fragte er sich. Er hatte Leonie mal kameradschaftlich in den Arm genommen, er hatte sie angelächelt, er hatte sie getröstet, ihr ein Buch geschenkt … In Leonies Augen schienen das Beweise seiner Leidenschaft zu sein. Sie kam ihm vor wie eine pubertierende viktorianische Miss, die glaubt, ein Kind entstehe durch einen freundlichen Blick zwischen Mann und Frau oder die Benutzung derselben Teetasse.
    Er hatte noch immer nicht den richtigen Punkt gefunden, an dem er die geschlossene Mauer ihrer dicht aneinandergereihten Wörter durchbrechen konnte, und wusste auch nicht, mithilfe welches Wurfgeschosses er das bewerkstelligen sollte. Da erhielt er Unterstützung von unerwarteter Seite.
    Clarissa kam herein. Die Langsamkeit und Zaghaftigkeit, mit der sie das tat, stand im Gegensatz zu dem entschlossenen Lächeln auf ihrem Gesicht.
    »Tante Leonie, ich habe uns ein Legohaus gebaut. Guck es dir an, es ist schön bunt.«
    Leonie nickte. »Ich komme in ein paar Minuten.«
    »Aber es fällt zusammen, wenn du nicht gleich kommst.«
    »Wenn es zusammenfällt, hast du es nicht richtig gemacht. Baue es neu.«
    »Brauchst du eine Garage?«
    »Ja, eine Garage brauche ich auch.«
    »Hilfst du mir?«
    »Clarissa, ich habe etwas mit Timo zu besprechen. Gehst du bitte schon mal vor? Ich komme gleich nach.«
    »Nein, jetzt.«
    Leonie stand abrupt auf und zog Clarissa am Arm auf den Flur.
    »Aua«, rief das Mädchen.
    »Du bist selbst schuld. Willst du, dass ich böse werde? Ich sagte doch, ich komme gleich nach. Geht das nicht in deinen Kopf?« Sie gab Clarissa einen deutlich hörbaren Klaps auf die Stirn, dann schloss sie die Tür mit einem Rums.
    Leonie setzte sich, nun wieder ganz entspannt, zu Timo auf das Bett, diesmal etwas näher als vorher. Bevor sie erneut ansetzen konnte, gab Timo ihr zu verstehen, dass er auch mal etwas sagen wolle.
    Es war ein entsetzliches Gestammel, das er von sich gab. Seine Erwiderung glich dem Motor eines Oldtimers, der nicht recht anspringen wollte. Er unternahm vier oder fünf Anläufe, bis er den ersten halbwegs verständlichen Satz zustande brachte. Dann lief es ein paar Sätze lang recht gut, bis er erneut stockte und mühsam versuchte voranzukommen.
    Irgendwo aus der Mitte seiner Wörter und Lücken jedoch stieg eine Botschaft empor. Sie erreichte Leonie in kleinen Schüben. Sobald er erkannte, dass Leonie ihn verstanden hatte, hielt er inne und blickte zu Boden.
    Er verkniff sich Floskeln wie »An unserer Freundschaft ändert sich deswegen nichts« und dergleichen. Denn selbstverständlich änderte dieses Gespräch alles zwischen Leonie und ihm, und zwar dahingehend, dass er sie nach diesem Wochenende nie wiedersehen würde. Sie waren keine engen Freunde gewesen, sie hatten fünfzehn Jahre lang keinen Kontakt gehabt. Es gab auch künftig keinen zwingenden Grund für sie, miteinander zu telefonieren, wohl aber gab es von da an einen Grund, dies nicht zu tun.
    »Tante Leonie, schau …« Clarissa kam erneut herein. Sie trug ein Malbuch vor sich her. »So sieht das Haus aus, das ich nachgebaut habe.«
    Leonie zerriss die Seite, ohne jedes Anzeichen einer inneren Regung, in Streifen von einigen Zentimetern Breite. »Habe ich dir nicht gesagt, dass du auf mich warten sollst? Na, habe ich es gesagt, oder nicht? Das hast du nun davon.« Leonie schleuderte die Papierstreifen Clarissa ins Gesicht und das Malbuch in die Ecke. »Raus jetzt, aber sofort.« Sie schubste das Mädchen, sodass es hinfiel.
    Clarissa weinte. Es klang leise, erschütternd.
    »Ich bringe sie in ihr Zimmer«, sagte Timo.
    »Nein. Wir sind noch nicht fertig.«
    »Ich finde, du solltest dir meine Worte eine Stunde durch den Kopf gehen lassen. Wenn du dann noch einmal darüber sprechen willst …« Mit diesem Angebot verließ er das Zimmer. Auf dem Flur nahm er

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