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Das Nebelhaus

Das Nebelhaus

Titel: Das Nebelhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Berg
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Clarissa in den Arm. »Der Leonie geht’s nicht gut«, sagte er. »Sie ist ein bisschen … durcheinander und traurig. Sie hat es nicht böse gemeint. Du wirst sehen, nachher verträgt sie sich wieder mit dir.«
    Als die Kullertränen nicht versiegten, stupste er Clarissa mit der Nase an. »Ich habe gehört, wie dein Papa Stupsi zu dir gesagt hat. Darf ich dich auch so nennen?«
    Sie nickte. Ein kleines Lächeln kam zum Vorschein, das auch Timo aufheiterte. Er fühlte sich wie ein Heilsbringer, nachdem er eben noch ein Hiob und zuvor ein Beichtvater gewesen war.
    Frau Nan verließ den Schuppen, ihr Reich der Reue. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sie sich frei – nicht frei von Schuld, aber frei von der Last der Schuld. Ihre Erinnerungen hatten das Gespensterhafte verloren, jetzt, da sie auf Papier gebannt waren. Frau Nan hatte sich ausgeliefert, ganz dem himmlischen Willen unterworfen, und konnte nun endlich ruhen. Ihr Schicksal lag buchstäblich in den Händen eines anderen.
    Sie ging durch den Garten, in dem ihr Mann die Gladiolen zusammenband, damit der herannahende Sturm sie nicht abknickte. Sein strenger Blick folgte ihr, bis sie in die Windstille des Hauses eingetaucht war. Dort bemerkte sie, dass Yim die schmutzigen Töpfe und Pfannen gespült hatte, und nickte beifällig. Guter Junge, dachte sie und saß eine Weile in der Küche, die nach Reinheit und Frische roch. Dort traf sie ihre letzten Entscheidungen.
    Als das Telefon klingelte, nahm sie das Gespräch mit größter Gelassenheit, beinahe schläfrig entgegen.
    Es war Vev Nachtmann. Sie erkundigte sich, ob einer der Gäste über Nacht in Yims Zimmer schlafen könne und Yim dafür im Nebelhaus. Frau Nan fragte nicht nach, um wen es sich handelte.
    »Nein, tut mir leid, Frau Nachtmann, das geht nicht. Nein, wirklich nicht. Das hat familiäre Gründe. Im Moment ist es sehr ungünstig. Oh, Yim würde sicherlich einwilligen, aber wie gesagt, ich habe meine Gründe. Ja, ich bedaure sehr. Guten Tag.«
    Sie ging nach oben und klopfte an Yims Tür.
    Er lag mit einem Buch in der Hand auf dem Bett, ein Bild des Friedens. Sie sah ihn voller Liebe und Stolz an, aber sie lächelte nicht.
    »Kommt Vater zurecht?«, fragte Yim.
    »Die Hilfe, die er braucht, kannst du ihm nicht geben«, sagte sie, woraufhin er Anzeichen von Nervosität zeigte – grundlos, denn sie hatte nicht vor, mit ihm über seinen Vater zu sprechen. Diesen Plan hatte sie aufgegeben, ihr Mut war anderweitig verplant.
    Yim sagte: »Ich will kurz rüber zu Philipp und Vev gehen und fragen, ob ich ihnen irgendwie helfen kann. Sie haben ein kleines Boot am Hafen, das müsste man besser festbinden, und die Tür am Wintergarten wackelt. Man hört sie jetzt schon klappern.«
    »Ja«, sagte sie, »es ist stürmisch geworden.«
    »Also gut, dann gehe ich mal los.« Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Es sei denn, du brauchst mich hier.«
    Einen Moment zögerte sie. »Nein, hier ist alles getan.«
    Als er sich die Schuhe anzog, sagte sie: »Du kannst mir einen Gefallen tun und das hier mit rüber nehmen.« Sie übergab ihm eine Tüte, in der sich zwei kleine Geschenkkartons befanden, wie man sie für Naschereien und andere Mitbringsel verwendet. »Der obere ist für Clarissa, da sind Reiskuchen drin, die werden ihr durch den Sturm helfen.«
    »Wie nett von dir. Da wird sie sich freuen. Und der andere?«
    »Der ist für die Kindergärtnerin, die Gast im Nebelhaus ist.«
    »Du meinst diese Leonie? Leonie Korn, heißt sie, glaube ich.«
    »Ja, die meine ich.«
    »Sind da auch Reiskuchen drin?«
    »Nein«, sagte Frau Nan. »Da ist eine Pistole drin.«

23
    Kaum aus Yasmins Wohnung ins Freie getreten, atmete ich tief durch. Trotz des Feierabendverkehrs, der an mir vorüberrollte, empfand ich die Luft als frisch. Tante Agathe stand um die Ecke, und auf dem Weg dorthin recherchierte ich mit meinem Smartphone, dass Yasmins bevorzugte Whiskymarke kein Discounter-Produkt für sechs neunundneunzig, sondern nicht unter fünfzig Euro zu bekommen war.
    Nach der großzügigen Schenkung für Karin vor zwei Jahren war das der zweite Hinweis darauf, dass Yasmin über große Geldmittel oder einen wohlhabenden Gönner verfügte. Wie konnte das sein? Hatte es mit ihrer reichen Familie zu tun, oder gab es eine andere Erklärung dafür? Ich hätte Yasmin auf die fünfundzwanzigtausend Euro ansprechen können, aber was das Thema Finanzen anging, benahm ich mich so seltsam wie die meisten Menschen: Sogar Leuten, die ich

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