Das Nebelhaus
schön machte, Timo, der mit Vev am Strand entlangging, Timo, der Vev auf der Veranda seine Liebe gestand. Sie hatte die beiden vom Fenster aus gehört, und der Wind hatte ihr genug Wortfetzen zugetragen, damit sie sich ein Bild machen konnte.
Timo hatte sie die ganze Zeit über getäuscht, ihr etwas vorgespielt. Ihm lag gar nichts an ihr. War es ein Spaß für ihn gewesen, dabei zuzusehen, wie sie ihn anhimmelte? Hatte er sich jedes Mal ins Fäustchen gelacht, nachdem sie ihm den Rücken gekehrt hatte? Timo war eine verlogene Null, der jemand das prahlerische Maul stopfen sollte. Und Vev war eine bösartige Hexe, arrogant und tückisch. Sie hatte Timo verführt, und Leonie bereute, nur die eine Katze gegen den Baum geschlagen zu haben.
Aber letztlich war sie selbst schuld. Wie töricht sie gewesen war, der Liebe auch noch hinterherzulaufen: der Liebe ihrer Eltern, der Kinder anderer Leute, der Männer … Wie idiotisch, dass sie einfach nicht begriffen hatte, dass die Menschen ihr nur Verachtung entgegenbrachten! Niemand sollte sie mehr lieben, und niemanden würde sie mehr lieben.
Leonie richtete sich äußerst langsam im Bett auf. Wie eine Greisin stellte sie erst das eine, dann das andere Bein auf den Boden und schwang sich dann mit zittriger Kraft in eine aufrechte Haltung. Sie ging zum Spiegeltisch und holte aus ihrer Tasche die Streichhölzer, die Schmerztabletten und ein paar Zigaretten hervor.
Frau Nan war umgeben von den Elementen: allen Winden ausgesetzt, die Erde des Gartens unter den bloßen Füßen, und überall war Wasser. Dazu kamen der Regen auf ihrer Haut, das Meer in den Ohren, die Pfützen auf dem getränkten Boden, unentwegtes Rauschen und Plätschern – die Musik des Monsuns. Der Tag wurde zur Nacht, doch sie fürchtete den Sturm nicht, im Gegenteil, die Taifune der Kindheit kamen ihr mit einem Mal so nah, so wunderschön vor. Sturm Emilys Luft war die gleiche, das Geräusch ihres Regens war dem ihrer tropischen Kusinen zum Verwechseln ähnlich. Dasselbe Lied.
Frau Nan zog die Strickjacke, die sich längst mit dem Wolkenwasser vollgesogen hatte, noch enger um sich und schloss die Augen auf der Suche nach der Kindheit, der Unschuld. Sie sah ihre Mutter, die schon lange tot war, auf sich zuschreiten: Komm ins Haus, kleine Nian, du wirst ja ganz nass, was tust du da, fängst du Schlammfische, rein mit dir, ich habe Reis und Gemüse gekocht. Frau Nan sah, wie ihre Mutter im Haus verschwand, und im nächsten Augenblick kam Viseth ins Dorf, ein junger Landvermesser. Er lächelte sie unentwegt an, machte ihr den Hof, nannte sie eine schöne Frau, hielt um ihre Hand an, heiratete sie, schlief mit ihr. Der Monsun rauschte auf dem Dach, ihr Glück war vollkommen.
Als sie die Augen wieder öffnete, stand Viseth erneut vor ihr, der alte Viseth. Wahnsinn glitzerte in seinen Augen, die eben noch so leidenschaftlich und verheißend gewesen waren. Er sagte kein Wort, doch der sadistische Ausdruck in seinem Gesicht war ihr wohlvertraut, und sie musste keine alten Erinnerungen an Kambodscha und das Lager 17 aufleben lassen, um ihn zu bemerken.
»Du hast mich verraten«, sagte er.
Sie nickte.
»Das hättest du nicht tun dürfen. Es ist mein Leben, das du einem Wildfremden in die Hand gelegt hast.«
»Dein Leben, Viseth, ist der Tod Tausender. Im Gedenken an sie habe ich dem jungen Mann die Wahrheit gesagt.«
Herr Nan platzte fast vor Zorn. »Dann werde ich sie mir eben zurückholen, die Wahrheit. Und du gehst ins Haus.«
»Nein!«, rief sie. »Nein. Hier trennen sich unsere Wege.« Damit lief sie davon.
Der Tag wurde zur Nacht. Sie rannte. Ihr kleiner Körper hatte Mühe. Hörte sie Schritte? Sie drehte sich nicht um. Frau Nan dachte an den Augenblick, als sie Yim zum ersten Mal im Arm gehalten, den kleinen, geröteten Körper gestreichelt und dabei seinen Herzschlag gefühlt hatte.
Das war lange her.
Das war das Beste.
Das war vorbei.
25
Steffen Herold war ein muskulöser Mann mittleren Alters, der sich sehr viel Mühe gab, jünger zu wirken: perfekte Bräune, blondierte und gestylte Haare, breite Schultern, enges T-Shirt, flotte Shorts. Ich fand, er hatte ein attraktives Gesicht, das er leider durch das ständige Zelebrieren und die Zurschaustellung seiner Aggressivität verunstaltete.
»Bringen wir es hinter uns«, sagte er nach der knappen Begrüßung. »Sie bekommen exakt eine Viertelstunde von mir. Ich bin hier mit meinem Job fertig und will nach Hause.«
»Das verstehe ich gut. Wo
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