Das Nebelhaus
tüfteln, zeichnen, Regeln aufstellen. Und nun zu dir. Wem versuchst du etwas vorzumachen?«
Überrascht davon, plötzlich Thema zu sein, konnte Timo einige Sekunden lang nicht antworten und dann nur mit einer Gegenfrage. »Wovon redest du eigentlich?«
»Muss ich dich an die Hühnerfarm erinnern? Wir sind nachts eingebrochen, um Filmaufnahmen von den beschissenen Haltungsbedingungen zu machen. Du natürlich beispielhaft vorneweg. Dann ist plötzlich dieser Wachmann aufgetaucht, und du hast ihm mit der Taschenlampe so heftig eins übergezogen, dass er bewusstlos umgekippt ist. Und was macht unser Timo in der nächsten Sekunde? In aller Ruhe Filmaufnahmen, kaum ein Wackler drin. Mit den ruhigen Händen hättest du am offenen Herzen operieren können. Wir haben den Film anonym ans Fernsehen geschickt, der Betrieb wurde geschlossen und musste umgebaut werden. Also alles prima gelaufen. Ich weiß noch genau, wie du später gesagt hast, dass man manchmal etwas Schlechtes tun muss, um etwas Gutes zu erreichen.«
»Warum kramst du die alten Sachen hervor? Was soll das?«
»Ich mache das nicht, um dir Vorwürfe zu machen. Ich will dir nur sagen: Der Timo von damals ist noch immer in dir, der Einbrecher-Timo, der Attacke-Timo, die Speerspitze der ›Grünen Zora‹.«
»Wir haben uns fünfzehn Jahre lang nicht gesehen und gesprochen. Woher willst du das wissen? Woher willst du überhaupt irgendetwas über mich wissen?«
»Ganz einfach: Ich habe inzwischen deine beiden Bücher gelesen.«
Timo schlug die Bettdecke zur Seite, stand auf und ging, nackt wie er war, zum Sessel. Seine provisorische Morgenwäsche bestand aus einem Deodorant-Sprühnebel, der auf seine Achseln zielte, dabei aber den ganzen Oberkörper einhüllte. Er zog sich die Sachen vom Vortag über: eine Bluejeans und ein ausgeleiertes T-Shirt.
»Du nervst, weißt du das?«, sagte er.
»Klaro weiß ich das. Ich bin Yasmin Germinal und habe bisher noch jeden genervt. Ich will in diesen Schuppen, aber nicht allein. Die Sache ist mir unheimlich. Was, wenn mich ihr Giftzwerg von Ehemann erwischt? Ich habe ihn gestern von weitem gesehen, das hat mir gereicht. Der Typ hat sie nicht mehr alle an der Waffel, so was sehe ich auf den ersten Blick. Du musst für mich Schmiere stehen.«
»Ich kapiere es immer noch nicht. Frau Nan wird da drin weder Nerze züchten noch eine Legehennenbatterie betreiben. Wozu also willst du da einbrechen?«
»Yim hat angedeutet, dass der Schuppen ihr Puja ist, darunter versteht man einen privaten Gebetsort. Einen Puja wollte ich schon immer mal sehen, einen Raum voller Gebetsmühlen, Gebetsglocken, Klanghölzer, Sandelholzschreine …«
»Ja, und vielleicht noch ein paar Knochen von Außerirdischen.«
»Spotte, so viel du willst. Aber ich muss mir das unbedingt ansehen. Wann kriege ich noch mal eine solche Gelegenheit?«
»Du wirst nichts mitgehen lassen?«
»Sehe ich aus wie Winona Ryder?«
»Okay, ich gehe mit dir in den blöden Schuppen. Aber zu keinem ein Wort.«
»Verlass dich drauf. Echt supi von dir. Ich rauche schnell noch einen Joint, dann kann’s losgehen.«
Timo schüttelte den Kopf. Er kannte niemanden sonst, der es schaffte, Buddhismus, Esoterik, Joints, die Lenin-Bibel und einen Einbruch im Kopf logisch zusammenzubekommen und von alledem hundertprozentig überzeugt zu sein. Das konnte nur Yasmin. In ihrer Welt ergab das alles einen Sinn.
17
Ein Schlüssel, kaum größer als mein Daumennagel, wurde zu meinem Quälgeist. Was mich weiterbringen sollte, warf mich auf die grundlegendsten Fragen meines Berufsstandes zurück. Was ist noch erlaubt, was nicht? Habe ich das ethische Recht, irgendwo einzubrechen – und sei es auch »nur« in einen Schuppen –, um etwas herauszufinden, von dem ich noch nicht einmal weiß, welche Bedeutung es hat? Wie weit darf ich in eine private Sphäre eindringen?
Herr Nan hatte mir deutlich zu verstehen gegeben, dass ich im Schuppen nichts zu suchen hätte, und kurz darauf war ein nagelneues Vorhängeschloss angebracht worden. Den Schuppen mithilfe des gestohlenen Schlüssels zu betreten war im Grunde nichts anderes, als das Tor einzutreten, ein Fenster einzuschlagen oder das Schloss zu knacken. Von Yims missbrauchtem Vertrauen mal ganz abgesehen.
Warum ich mich letztendlich dafür entschied, von dem Schlüssel Gebrauch zu machen, hing damit zusammen, dass nicht nur der alte Nan, sondern auch Yim ein Geheimnis aus dem machte, was sich hinter der anderen Seite der Tür verbarg. Der
Weitere Kostenlose Bücher