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Das Nebelhaus

Das Nebelhaus

Titel: Das Nebelhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Berg
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schlanker als sie war. Mit nassen Haaren und barfuß überquerte sie den Flur und blieb vor Timos Gästezimmer stehen. Sie wollte gerade an die Tür klopfen, als sie gedämpfte Stimmen hörte. Timo unterhielt sich leise mit einer Frau, und Leonie war sofort klar, wer das sein musste.
    Sie ging zurück ins Bad, holte ihr Necessaire hervor, zog den Morgenmantel aus und zerschnitt ihn mit größtmöglicher Sorgfalt.
    »Was … Was machst du denn hier?«, fragte Timo, als er die Augen aufschlug. Yasmin saß im Schneidersitz auf seinem Bett, gleich neben seinen Füßen, und rauchte eine Zigarette.
    »Ich habe gewartet, dass du wach wirst.«
    »Warum?«
    »Blöde Frage. Um dich nicht zu wecken.«
    »Ich meine … Ist etwas passiert?«
    »Ja, klar, Timo, das Haus brennt. Die anderen sind schon draußen.«
    »Ha, ha«, sagte er. »Übrigens klemmst du mit deiner rechten Arschbacke meinen linken Fuß ein.«
    »Nein, das war anders, dein Fuß hat sich unter meinen Arsch geschoben.«
    Timo warf den Kopf zurück aufs Kissen, schlug die Hände vors Gesicht und rief: »Mama, womit habe ich das verdient?«
    Yasmin ließ der Ausbruch völlig kalt. Sie drückte die Zigarette auf der Bettkante aus, verstaute den erloschenen Stummel in der Gesäßtasche ihrer Hose und wischte den Dreck, den sie auf der Bettkante gemacht hatte, mit etwas Spucke weg. Ein kleiner Brandfleck, der Yasmin nicht weiter zu kümmern schien, blieb übrig.
    Inzwischen hatte Timo sich halbwegs in sein Schicksal gefügt. Er seufzte: »Also, Yasmin, was gibt’s?«
    »Du bist ein Morgenmuffel, was?«
    »Wenn schon jemand in meinem Bett Zigarette raucht und mir den Rauch ins Gesicht bläst, sollte vorher etwas Erotisches passiert sein. Bitte komm zur Sache. Geht es um Yim? Hast du dich gestern während des Spaziergangs in ihn verknallt?«
    »Yim? Nee, der hat nix damit zu tun. Na ja, fast nix. Er ist nicht so ganz mein Typ, und ich bin auch nicht sein Typ, weiß auch nicht. Außerdem ist fremdgehen schlecht fürs Karma, und ich würde …«
    »Yasmin, bitte verstehe mich nicht falsch. Ich hocke super gerne mit dir um«, Timo warf einen verschlafenen Blick auf sein Handy, »um acht Uhr elf auf dem Bett und diskutiere mit dir über dein Karma. Aber ich bin verdammt müde. Mir geht eine neue Geschichte im Kopf herum, ich musste letzte Nacht unbedingt ein paar Seiten Rohfassung schreiben. Außerdem bin ich dir hilflos ausgeliefert, kann noch nicht mal fliehen. Meine Sachen liegen da drüben auf dem Sessel …«
    »Bist du nackt unter der Decke?«
    »Schläfst du im Ski-Anzug?«
    »Vor mir brauchst du dich doch nicht zu genieren. Erinnerst du dich, wie wir damals in diese Dreckbrühe neben dem Chemiewerk gefallen sind und uns ausziehen mussten, um …«
    »Yas-min«, rief Timo. »Warum bist du hie-ier?«
    »Ach so, ja, fast vergessen. Ich will in einen Schuppen einbrechen und brauche deine Hilfe. Was heißt schon einbrechen? Ist ja kein Schloss dran, also ist es auch kein Einbruch, sondern nur unbefugtes Betreten. Das belastet das Karma nicht.«
    »Sehr praktisch, wenn man sich seine zehn Gebote selbst schreiben kann. Du darfst trotzdem nicht einfach irgendwo eindringen, wenn’s dir gerade mal in den Kram passt.«
    »Mann, Timo, früher sind wir andauernd an Schildern vorbeigegangen, auf denen ›Betreten für Unbefugte verboten‹ stand, und an dem Schuppen hängt noch nicht einmal ein Schild.«
    »An meiner Wohnungstür hängt auch kein Schild, trotzdem will ich nicht, dass jemand einfach so reinspaziert. Und hör endlich mit früher auf. Die Zeiten ändern sich, Menschen ändern sich. Heute mache ich so etwas nicht mehr.«
    Sie zündete sich eine neue Zigarette an. Ihr Gesichtsausdruck glitt aus der Unbekümmertheit hinüber in große Ernsthaftigkeit. Ihre Pupillen, sonst seltsam verschwommen, verengten und fokussierten sich auf ihn. Yasmin war hochintelligent, konnte sich gewählt ausdrücken und äußerst entschlossen handeln, packte diese Eigenschaften ihres Wesens jedoch nur zu besonderen Gelegenheiten aus, als handele es sich um Omas gutes Porzellan.
    »Falsch«, erwiderte sie leise und fest, »Menschen ändern sich nicht, jedenfalls nicht in grundsätzlichen Dingen. Ihr wesentliches Format behalten sie bei. Denk mal zurück. Philipp zum Beispiel hat immer ewig lange herumgetüftelt, um unsere Aktionen vorzubereiten. Stunden und Tage hat er recherchiert, alles war minutiös ausgearbeitet, wie bei einem Gefängnisausbruch. Und was macht er heute? Immer noch

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