Das Nest des Teufels (German Edition)
zu ihm. Zum Glück hielt Juri Abstand. Ich hätte ihm den Kopf abgerissen, wenn er mir zu nahe gekommen wäre.
Am nächsten Morgen bekam ich eine SMS mit Grüßen vom Tragflügelboot nach Tallinn. Ich besprach mit Julia und Syrjänen die Gästeliste und die Sicherheitsvorkehrungen für die Hochzeit.
Julia bekam im Laufe des Abends zwei Anrufe, sie sprach aufgeregt Russisch, offenbar mit Gezolian. Ich schnappte das Wort Flugplatz auf. Zur Mai-Feier wurden ein ehemaliger Minister und zwei Unternehmer erwartet, und Syrjänen fragte vorsichtig, ob ich für die Nacht zum ersten Mai mein Zimmer dem Minister abtreten und bei Juri im Atelier schlafen könne. Gezolian und der eine Unternehmer mit seiner Frau sollten in den Gästezimmern untergebracht werden, die Unternehmerin und ihr Mann in der Saunakammer. Offenbar waren alle Gäste in das Kopparnäs-Projekt eingeweiht, ich würde also die Ohren offen halten müssen.
Julia wollte Gezolian selbst vom Flugplatz abholen. Es stellte sich heraus, dass er nicht mit einer Linienmaschine kam, sondern am frühen Morgen mit seinem Kleinflugzeug in Tallinn abfliegen würde. Er war ein begeisterter Hobbypilot. Die Maschine würde auf dem Torbacka-Flugplatz in Degerby landen.
«Der Platz ist nicht mal asphaltiert, es ist bloß ein Acker! Warum tut er so etwas Gefährliches?» Julia rang die Hände. Ich bot ihr an, mitzufahren und ihre Hand zu halten, doch sie verstand die ironische Bemerkung nicht.
«Du bist nicht die Feuerwehr! Was kannst du schon ausrichten?»
In dem Moment kam Juri in die Küche.
«Jetzt habe ich die Entwürfe fertig», sagte er zu Syrjänen. «Komm ins Atelier und guck dir an, ob sie gut genug sind, um sie am Wochenende zu präsentieren.»
«Ich komme gleich. Prima, dass sie fertig sind. Ach ja, Juri, wir müssen für die Mainacht eine kleine Umquartierung vornehmen. Hilja wird auch im Atelier schlafen. Das ist dir sicher nicht unangenehm.» Syrjänen grinste anzüglich, und Juri errötete.
«Mir nicht, aber hast du Hilja gefragt, was sie davon hält?»
«Mein Zimmer bekommt ein Exminister, der dafür berüchtigt ist, sich auf alles zu stürzen, was einen Busen hat. Du bist mir als Mitbewohner weitaus lieber», sagte ich zu Juri. Ich meinte es ernst, begriff aber im selben Moment, dass er annehmen musste, ich würde nur flirten, um ihn weiterhin am Gängelband zu halten. Verflixt noch mal, es war wirklich nicht leicht.
Ich wurde schon in der Morgendämmerung von Julias Gepolter geweckt. Sie schlief normalerweise gern lang, aber für den lieben Papa war sie offenbar bereit, auf ihren Schlaf zu verzichten. Hanna schäumte in der Küche Milch für Julias Cappuccino auf und nahm das frische Brot aus der Backmaschine. Ich beschloss, schwimmen zu gehen, denn in der Sauna war noch niemand. Gezolian und David hatten sich am vorigen Tag zur selben Zeit in Tallinn aufgehalten, aber es stand wohl nicht zu befürchten, dass sie sich dort zufällig über den Weg gelaufen waren. David hielt das Ferienhaus auf Ösel zwar für sicher, doch ich nahm an, dass er trotzdem eine Alarmanlage und Kameras installieren würde. Wie hatte man Deividas erklärt, dass sein Vater nicht immer bei ihm sein konnte, sondern kreuz und quer durch Europa reiste, mal auf der Flucht vor Verbrechern, mal vor der Polizei? Wäre Gezolian bereit, Davids Kind töten zu lassen, obwohl er sein eigenes so innig liebte? Vermutlich ja.
Das kalte Wasser steigerte meinen Kampfwillen, ich war bereit, Gezolian gegenüberzutreten. Dennoch kam es mir vor, als ob ich mich anschickte, an einem Kartenspiel namens Hungertod teilzunehmen, bei dem die Spieler eine Karte nach der anderen aufnehmen und derjenige mit der höchsten Punktzahl alle Karten der Runde bekommt. Zu Beginn des Spiels hängt alles vom Glück und Zufall ab, und erst wenn das Blatt einmal durchgespielt wurde, kann man anfangen zu kalkulieren. Der Verlierer ist derjenige, dem als Erstem die Karten ausgehen, er verhungert.
In Leysin und New York hatte Gezolian maßgeschneiderte Anzüge getragen, jetzt steckte er in einer Pilotenkluft, die aus den dreißiger Jahren hätte stammen können. Julia schwirrte um ihren Vater herum, bot ihm Tee an und schmollte, als sich herausstellte, dass ihn Juris Entwürfe mehr interessierten als die königliche Hochzeit, die sie sich mit ihm ansehen wollte. Ich leistete ihr ersatzweise Gesellschaft, denn ich wollte sehen, wie die Sicherheitsvorkehrungen gehandhabt wurden. Vielleicht konnte ich noch etwas lernen.
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