Das Nest des Teufels (German Edition)
würde Salbe gegen die Blutergüsse aus dem Medizinschrank der Villa brauchen und trotz der Wärme des Frühlingstages ein Halstuch tragen müssen. Ich zog T-Shirt und Jeans an und ging nachsehen, ob ich ein Frühstück ergattern konnte. Hanna stellte gerade eine Heringsplatte und Schnapsgläser auf den Tisch. Auch Julia war bereits auf, sie wirkte erbost.
«Ich halte das nicht aus! Selbst die Frauen trinken wie Matuschkas von der Kolchose, und das ganze Haus stinkt nach Schnaps. Wenn sie aus den Betten kriechen, fangen sie wieder von vorn an. Vater und ich fahren nach Helsinki, soll sich Usko doch allein um seine Gäste kümmern. Du bringst uns hin.»
«Und das Flugzeug deines Vaters?»
«Wir kommen mit dem Taxi zurück. Ich will mit Papa ins Savoy und Vorschmack essen.»
Ich verzichtete darauf, Julia zu erklären, dass die Restaurants in Helsinki am ersten Mai überfüllt sein würden. An sich war ich bereit, nach Helsinki zu fahren, aber ich wollte den USB -Stick mitnehmen. Zum Glück ging es nicht sofort los, denn Gezolian schlief noch. Nachdem ich gefrühstückt hatte, brachte ich die Salbe ins Atelier. Juri jammerte im Schlaf, er sprach Russisch. Plötzlich hörte ich meinen Namen: «Hilja,
njet
, du darfst Hilja nicht erschießen!»
Ich rüttelte an seiner Schulter.
«Juri, wach auf! Du hast einen Albtraum!»
Juri riss die Augen auf und starrte mich ungläubig an. Dann stöhnte er.
«Ein Albtraum … Sag mir, dass auch Ulla Beck ein Albtraum war.»
«Albträume beißen nicht. Hier hast du Salbe, sie hilft nicht sofort, wirkt aber lindernd. Ich habe den Befehl bekommen, Julia und Gezolian in die Stadt zu fahren. Halt die Ohren steif.»
«Hilja, ich wollte nicht …»
«Du bist mir keine Rechenschaft schuldig.»
Juri sprang auf. Auch an den Oberschenkeln hatte er blaue Flecken.
«Dir ist es natürlich völlig egal, mit wem ich schlafe! Du und dein neuer Freund Gezolian habt euch auf meine Kosten wohl gut amüsiert. Zum Teufel, Hilja, du bist noch schlimmer, als ich mir jemals hätte träumen lassen! Ich brauche dich an keinen zu verraten. Bei dem Spiel, das du treibst, wirst du auch ohne meine Hilfe in der Hölle schmoren!» Er nahm ein Wasserglas und warf es nach mir. Ich fing es auf wie ein geübter Baseballspieler. Dann ging ich nachsehen, wie ich an meinen USB -Stick kam.
Es war kinderleicht. Hannula schnarchte so laut wie drei Onkel Jaris und bekam nichts davon mit, dass ich an meinen Schrank ging. Ein anderer an meiner Stelle hätte ihn mit der Handykamera gefilmt und das Video ins Netz gestellt. In der Saure-Gurken-Zeit hätte es sicher den Weg in die Nachrichten gefunden.
In Helsinki musste ich bei siebzehn Restaurants anrufen, bevor ich einen Tisch für Julia und ihren Vater ergatterte, allerdings erst für fünf Uhr. Gezolian überprüfte die Wettervorhersage. Der Wind würde über Nacht nach Nordwesten drehen, aber schwach bleiben, also hätte er am nächsten Tag ein Prachtwetter für den Flug nach Tallinn. Er wollte in der Stadtwohnung übernachten. Kurz nach Mittag rief Julia Syrjänen an und schimpfte so laut, dass es in der ganzen Wohnung widerhallte. Gezolian versuchte sie zu besänftigen. An diesem Wochenende hatte er keine Gelegenheit gehabt, sein Isotop-Versteck zu überprüfen. Er hing den halben Tag am Telefon und sprach mal Italienisch mit starkem Akzent, mal Russisch. Ich glaubte den Namen David Stahl herauszuhören.
Als sich Vater und Tochter endlich auf den Weg zum Restaurant machten, widmete ich mich dem USB -Stick. Er enthielt nur eine Datei: den Krankenbericht von Keijo Antero Kurkimäki, ehemals Suurluoto, aus der Klinik Niuvanniemi. Kein Begleitschreiben, keine Erklärung, wie Laitio an diese vertraulichen Unterlagen gekommen war. Die Datei war ellenlang, zeitlich deckte sie ja mehr als die Hälfte des bisherigen Lebens meines Vaters ab. Laitio hatte sicher dafür sorgen wollen, dass ich so viel wie möglich über meinen Vater wusste, damit ich mich vorbereiten und sowohl mich selbst als auch Vanamo schützen konnte.
Obwohl ich mich mit Kriminalpsychologie befasst hatte, beschlich mich schon bei der ersten Seite das Gefühl, ein Fachwörterbuch zu benötigen. Der Schlafmangel und all die Dinge, die ich lieber nicht erfahren hätte, bereiteten mir Kopfschmerzen. Paranoide Schizophrenie, Sexualmanie, Halluzinationen. Mein Vater war offenbar noch verrückter, als ich gedacht hatte.
Am unteren Bildschirmrand erschien das Symbol für einen Maileingang. Der Absender
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