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[email protected]. Meine allererste E-Mail-Adresse hatte ähnlich gelautet, nur hatten am Anfang statt «boss» mein Vor- und Nachname gestanden. Der Boss war natürlich Mike Virtue.
Liebe Hilja,
ich habe erwartet, dass du Verbindung mit mir aufnimmst und dich für dein Verhalten entschuldigst. Habe ich dich wirklich falsch eingeschätzt und dich nichts lehren können? Ich schreibe dir, weil du mir trotz allem wichtig bist; wenn du glaubst, ich wüsste deine Leistungen nicht zu schätzen, irrst du dich. Ich komme in zwei Wochen nach Finnland, um einen Vortrag zu halten. Wegen der Zeitverschiebung reise ich schon drei Tage vorher an, außerdem will ich ein wenig durch euer schönes Land reisen, das meines Wissens zu den sichersten der Welt zählt. Ich möchte dich treffen, und meiner Meinung nach bist du mir ein Treffen schuldig. Ich werde im Hotel Torni wohnen. Welche Orte und Sehenswürdigkeiten kannst du mir empfehlen, und vor allem – wo können wir uns treffen?
Dein Lehrer
Mike Virtue
Verdammt noch mal. Was man abgehakt glaubt, taucht plötzlich wieder auf. Wenn Mike nach Finnland kam, wollte ich in Australien oder Hinterindien sein. Vielleicht würde Julia gern nach Witebsk zu ihrem Vater reisen oder die letzten Wochen als unverheiratete Frau im Jet-Set von St. Petersburg oder Moskau feiern? Ich war keineswegs verpflichtet, mich mit Mike zu treffen.
Die Nachrichtenflut ging weiter, diesmal mit einer SMS . Genau genommen handelte es sich um ein Bild. Ein Luchs streifte bei Sonnenaufgang über einen Sandstrand. Der Text lautete: «Heute früh auf Ösel». Ich brauchte nicht nachzusehen, wer der Absender war, und hätte auch gar keine Zeit gehabt, zu antworten, denn Syrjänen rief an. Ob ich ein Taxi nehmen und nach Långvik kommen könne? Dort wurde ein nüchterner Fahrer gebraucht, der das Auto der Hakulinens nach Tapiola brachte. Juri würde die Becks und Hanna Syrjänen chauffieren. Hannula war bereits von seinem Fahrer abgeholt worden.
Ich tat wie geheißen. Auf der Straße nach Långvik kam meinem Taxi ein protziger Lexus entgegen, mit Juri am Steuer.
Der Mercedes der Hakulinens hatte erst dreitausend Kilometer auf dem Tacho. Herr Hakulinen war noch in fröhlicher Stimmung, aber wegen seiner Frau mussten wir dreimal anhalten, bevor wir auch nur die Umgehungsstraße erreichten.
«Es wird wohl wieder Zeit, Mirkku für ein paar Wochen zum Entzug zu schicken», sagte der Mann. Ich brachte die beiden zu ihrem Haus am Meer und trug ihr Gepäck hinein. Am Abend des ersten Mai ein Taxi zu bekommen war nahezu aussichtslos, aber mir reichte auch der Bus. Also ging ich die Tapiolantie entlang zu der Haltestelle beim Kaufhaus Stockmann, hob unterwegs eine ziemlich lädierte Studentenmütze auf, die mitten auf dem Bürgersteig lag, und hängte sie an einen Ast. Dann sah ich Gespenster. Von der anderen Straßenseite her blickte mich ein Luchs an. Er hatte ein Junges bei sich, das den Kopf zum Gesicht seiner Mutter reckte und gleichzeitig an ihrer Seite Schutz suchte.
Es war nur eine Statue. Ich lief über die Straße und sah sie mir aus der Nähe an. In dem glatten, roten Granit war das Muster des Fells nicht besonders sorgfältig herausgearbeitet, und der Bildhauer hatte das Tier länglicher geformt, als es in Natur war, aber ich hatte dennoch Lust, den Rücken der Statue zu streicheln. Der Stein fühlte sich überraschend warm an. Schon zweimal an diesem Tag hatte ich einen Luchs gesehen. Das musste etwas Gutes bedeuten.
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«Anders, als man im Allgemeinen glaubt, kommen die größten Bedrohungen für Unternehmen nicht von außen. Nicht von Konkurrenten, Patentdieben oder Naturkatastrophen. Die größte Gefahr kommt von innen, und sie geht meistens von einer Person aus, die die zuverlässigste von allen sein sollte.»
Mike Virtues Stimme dröhnte aus den Lautsprechern des großen Saals in der Finlandia-Halle. Er ging am Rand der Bühne hin und her und unterstrich seine Worte mit exakt abgemessenen, nicht zu weit ausholenden Gesten. Ich sah das Ziermuster an der Kappe seiner handgefertigten Schuhe und wusste auch, das Jackett war so geschnitten, dass sich das Holster unter der linken Achsel nicht abzeichnete. Usko Syrjänen, der neben mir saß, machte sich Notizen, obwohl die Seminargebühr selbstverständlich einen USB -Stick mit den zentralen Punkten der Vorträge einschloss.
Syrjänen war auf das Inserat gestoßen, das auch ich gesehen hatte. Er hatte uns beide zu dem Sicherheitsseminar