Das Nest des Teufels (German Edition)
kein Englisch. Die Japanerin fragte mit weinerlicher Stimme, ob irgendjemand Englisch spreche. Ich meldete mich freiwillig, denn ich wollte schnellstens zu Julia in den Käseladen, doch im selben Moment begriff ich, dass meine Englischkenntnisse nutzlos waren, weil ich die Worte der Japanerin nicht ins Französische übersetzen konnte. Ich brach in hysterisches Lachen aus, obwohl ich innerlich kochte. Zum Glück beherrschte das etwa sechzigjährige Ehepaar, das hinter mir stand, beide Sprachen, und die Situation war bald geklärt.
Im Laufschritt eilte ich zu dem einige hundert Meter entfernten Käsegeschäft. Die Limousine war nirgends zu sehen. Als ich den Laden betrat, kostete Julia seelenruhig ein Stück Käse und trank einen Schluck Wein dazu. Da ich Hunger hatte, schloss ich mich an, verzichtete allerdings auf den Wein.
«Mein Vater mag kräftigen Käse. Ich glaube, ich nehme den hier für ihn.» Julia bat um dreihundert Gramm reifen Gruyère, zahlte mit der Kreditkarte und überließ es mir, die Tüte zu tragen. Die nachmittägliche Rushhour im Dorf begann, die Menschen kehrten von den Pisten in ihre Hotels oder nach Hause zurück. Ich sah die Limousine aus einer Nebenstraße kommen. David musste eine ganze Weile rangieren, um den langen Wagen auf unsere Straßenseite zu steuern. Dabei brachte er den Verkehr ins Stocken, doch Julia scherte sich nicht um das Gehupe, sondern ließ sich beim Einsteigen Zeit. Ich breitete in südeuropäischer Manier die Arme aus: Wozu die Eile, wartet doch einen Augenblick. Hätte ich in Finnland am Steuer gesessen, hätte ich mich an dem Hupkonzert beteiligt und obendrein den Stinkefinger gezeigt. David musste den Hügel hinunterfahren, um zu wenden, dann ging es wieder bergan. Der Wind hatte sich gelegt, auf den Terrassen saßen Leute beim Nachmittagsdrink und sonnten sich. Ich hätte Julia am liebsten aus dem Wagen gestoßen und David zu mir auf die Rückbank gezerrt, ihm die Kontaktlinsen weggenommen und nachgesehen, ob seine Haare eine Perücke oder echt waren. Doch ich musste mich zügeln.
Im Chalet duschte ich heiß, vielleicht wirkte das so beruhigend wie die berühmte eiskalte Dusche. Nachdem ich mich wieder angezogen hatte, schlich ich in die Küche, um etwas zu essen zu stibitzen. Pierre hatte die Füße auf den Tisch gelegt und las in einem Buch. Er lächelte strahlend und stand auf, um mich mit Wangenküssen zu begrüßen. Vielleicht betrachtete er es als Berufsprivileg, die weiblichen Gäste des Hauses küssen zu dürfen. Ich ließ ihm das Vergnügen, stellte mich aber darauf ein, ihn zur Ordnung zu rufen, wenn er weiter gehende Annäherungsversuche machte. Doch er fragte nur, ob ich etwas essen wolle, und als ich bejahte, zauberte er im Handumdrehen ein überbackenes Schinken-Käse-Sandwich mit grobem Dijon-Senf. Onkel Jari und ich waren Selbstversorger gewesen und hatten auch den Senf selbst zubereitet. Mein Onkel hatte eine Vorliebe für scharfen Senf gehabt, und Matti Hakkarainen hatte sich bei unseren Wurstabenden mehr als einmal die Zunge daran verbrannt. Nach dem selbstgemachten Senf hatten alle anderen Sorten fade geschmeckt, aber Pierres Rezept hatte den richtigen Biss.
«Arbeitest du schon lange hier?», fragte ich.
«Chagall hat das Haus vor fünf Jahren bauen lassen, seitdem bin ich hier. Vorher war ich Restaurantkoch in Montreux, aber die Arbeitszeiten …»
«Verstehe. Ich habe ein paarmal als Sicherheitskraft in einem Restaurant gearbeitet.»
Pierre holte einen in Marinade eingelegten Braten aus dem bis an die Decke reichenden Kühlschrank. Der Knoblauchgeruch war überwältigend. Der Koch legte den Braten in den kalten Gasofen und stellte die Hitze auf hundertzwanzig Grad ein. Dann begann er, Gemüse für eine Julienne zu schneiden.
«Und du? Wie lange stehst du schon bei Madame Gerbolt im Dienst?»
«Erst seit einigen Wochen. Sind sie und ihr Vater oft hier zu Gast?»
Pierre zufolge hatte Gezolian Chagall mehrmals besucht, während Julia zum ersten Mal hier war. Chagall war fast immer auf Reisen und verlieh das Haus gern an seine Freunde.
«Manchmal bin ich wochenlang allein hier. Ab und zu kommt eine Putzfrau aus dem Dorf.»
«Womit handelt Chagall?»
Pierre hielt in der Bewegung inne, sein Lächeln war verschwunden.
«Hilja», sagte er mit Nachdruck, wobei er das H nicht aussprach, sodass mein Name wie Ilja klang. «Ich habe einen guten Job. Den behalte ich nur, wenn ich keine neugierigen Fragen stelle.»
Offenbar hatte sich Pierre
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