Das Nest des Teufels (German Edition)
gern mit ihren Taten, genau wie Trankow.
Über das Wochenende fuhren wir alle nach Långvik, wo Gäste erwartet wurden: Syrjänens Jugendfreund und seine Frau. Auch Juri war dort.
«Komm und schau dir an, was ich gemalt habe», bat er, als wir am Freitagabend angekommen waren und die Herrschaft beim Abendessen saß. Juri und ich sollten später mit Hanna in der Küche essen. «Du könntest bei mir im Atelier schlafen. Da hättest du mehr Platz als in dem kleinen Gästezimmer.»
«Ich mag es, wenn ich die Tür abschließen kann», sagte ich, folgte Juri aber dennoch in das Ateliergebäude, das zur Villa Långvik gehörte, denn dort konnte ich ungestört mit ihm über die Beschaffung der Waffe reden. Syrjänen hatte die Villa von einem Geschäftspartner gemietet, dessen Frau Hobbymalerin war. Das Ehepaar war für drei Jahre beruflich in Shanghai, und Trankow genoss es, in einem richtigen Atelier malen zu können. Der lichte Raum war fast unmöbliert, es gab nur eine Kochnische, einen kleinen Tisch mit Barhockern und eine Schlafcouch. Juri trug seine Künstlerklamotten: weiße Jeans, Tennisschuhe und ein legeres weißes Hemd. Seine schwarzen Haare waren verwuschelt.
Das Atelier war gefüllt mit Seestücken. In der Sonne schimmerndes Wasser, eine Mondstraße, ein Herbststurm. Ich konnte immer noch nicht beurteilen, ob Juri ein begabter Maler war. Es gelang ihm, die Dinge, die er malte, lebendig wirken zu lassen, aber das war wohl nicht das einzige Ziel der Kunst. Mary Higgins hatte imitierende Kunst verachtet, ihrer Meinung nach sollte Kunst nicht die Welt als solche zeigen, sondern die konventionelle Sichtweise auf den Kopf stellen. Mary, verdammte Mary. Warum hatte ich Onkel Jaris Brief nicht rechtzeitig bekommen? Aber was hätte ich schon ausrichten können? Selbst wenn ich den ersten Flieger nach Helsinki genommen hätte, wäre ich erst in Finnland gelandet, als Onkel Jari schon tot war.
«Wie gefallen sie dir? Willst du mir für diese Serie Modell stehen, wenn das Meer wieder eisfrei ist? Ich könnte dich als Seejungfrau malen. Usko hat Julias Porträt bei mir bestellt, aber Julia kann einfach nicht stillsitzen. Wie in aller Welt ist sie als Fotomodell zurechtgekommen? Da muss man doch stundenlang posieren.»
Juri und Julia mochten sich nicht; den Grund für ihre gegenseitige Abneigung kannte ich bisher noch nicht. Julia nutzte jede Gelegenheit, Juri zu demütigen und ihm zu zeigen, dass er weit unter ihr stand. Mit mir sprang sie nicht ganz so schlimm um.
«Als Seejungfrau, na ja. Wo würdest du mich denn malen, etwa auf den Uferfelsen von Kopparnäs? Ich habe allerdings nie davon geträumt, eine Seejungfrau zu sein. In der Gestalt wäre Sex einigermaßen beschwerlich.»
Juri schien mir gar nicht zuzuhören, er zog eine ungerahmte Leinwand hervor, die hinter anderen Bildern versteckt war.
«Das kann ich keinem Menschen zeigen. Nur dir.» Mit zitternden Händen rollte er die Leinwand auf. «Ich
musste
es malen. Ich dachte, dann bekäme ich es aus dem Kopf. Aber das hat auch nicht geholfen.»
«Bist du wahnsinnig?» Trankow hatte auch mich gemalt, oder eine Mischung aus mir und Reiska. Diese Person riss Laitio zur Seite, weg von Martti Rytkönens Leiche. Trankow selbst war nicht mit auf dem Bild, denn die Szene war aus seiner Perspektive dargestellt. Er hatte gerade den tödlichen Schuss abgegeben, mitten in Rytkönens Stirn.
«Du musst das Bild vernichten! Es darf nicht in falsche Hände geraten. Stell dir mal vor, Syrjänen würde es zu Gesicht bekommen! Oder die Polizei.»
«Werde ich die Erinnerung los, wenn ich das Bild verbrenne? Ich weiß, dass Martti nur bekommen hat, was er verdient. Er war ein böser Mann und wollte euch beide töten. Ich habe sogar in der Uspenskij-Kathedrale gebetet, obwohl ich eigentlich nicht gläubig bin. Wie werde ich dieses Schuldgefühl los? Soll ich doch ein Geständnis ablegen?»
«Hör auf mit dem Gejammer! Wenn du bei Laitio etwas gutmachen willst, besorgst du ihm eine Waffe, und zwar schnell! Wo können wir das Bild verbrennen? Im Kamin in der Villa oder im Saunaofen geht es auf keinen Fall, und in der Stadt erst recht nicht.»
«In Kopparnäs gibt es Grillplätze. Ich dachte, ich könnte dorthin gehen … auf den Tanzboden. Vielleicht kriege ich die Sache dann aus dem Kopf. Würdest du mitkommen?» Trankows Stimme klang flehend, gleich würde er wieder losheulen. Und so etwas sollte ein hartgesottener Verbrecher und Polizistenmörder sein! Aber es war mir schon
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