Das Nest des Teufels (German Edition)
Promazin und Alkohol zurückzuführen?»
Ich nickte. Julia fragte, wann sie ihren Verlobten sehen könne. «Er bekommt doch wohl ein Einzelzimmer und muss nicht mit Hinz und Kunz im selben Zimmer liegen? Wir haben Geld genug.»
«Dafür bin ich nicht zuständig», antwortete die Ärztin spröde. «Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass Ihr Verlobter außer Gefahr ist. Bleibende Schäden sind nicht zu erwarten. Sollen wir eine psychologische Konsultation vereinbaren?»
«Warum das denn? Usko ist doch nicht verrückt!»
«Es war also kein Selbstmordversuch?»
«Nein, absolut nicht!» Jetzt war Julia wieder ganz die Alte, frostig und gekränkt. «Warum sollte er sich umbringen? Er ist geschäftlich sehr erfolgreich, und wir werden im Juni heiraten, wenn seine vorige Ehe endgültig aufgelöst ist.»
«Krisen, wie zum Beispiel eine Scheidung, können eine Depression auslösen.» Nina Wirtanen gab nicht so leicht auf.
«Die Scheidung war definitiv keine Krise, sondern eine große Erleichterung! Usko ist heilfroh, seine Ex endlich loszuwerden.»
Die Ärztin entschuldigte sich, der nächste Patient warte, und Julia fragte verdutzt, was wir jetzt tun sollten. Am Empfangsschalter erhielten wir den Rat, uns in die Cafeteria zu setzen. Man habe Julias Handynummer und werde sich melden, wenn Syrjänen Besuch empfangen durfte.
Ich hasste Krankenhäuser von ganzem Herzen. Bisher waren sie mir zum Glück weitgehend erspart geblieben. In einem Krankenbett hatte ich nur ein einziges Mal gelegen, in einer New Yorker Abtreibungsklinik, und auch das nur für eine Nacht. Ich spürte, dass auch Julia sich unwohl fühlte. Die Atmosphäre in öffentlichen Kliniken war von Hilflosigkeit, Trauer und Besitzlosigkeit geprägt, Julia verabscheute diese Welt. Mich schreckte vor allem die Vorstellung, von anderen Menschen abhängig zu sein. Falls ich mir wider Erwarten eines Tages ein Kind wünschen sollte, würde ich es bestimmt nicht in einem kalten, weißen Raum zur Welt bringen, sondern zum Beispiel in der Sauna in Hevonpersii oder auf weichem Torfmoos. Wozu brauchte eine Menschenmutter Maschinen und Hebammen, wenn eine Luchsmutter ganz allein zurechtkam? Aber in die Situation würde ich wohl nie geraten.
Julia und ich beschlossen, lieber in die Stadtwohnung zu fahren und dort zu warten. Dann konnte ich auch gleich meinen Pass einstecken. Als wir ankamen, sagte Julia, sie wolle ein Bad nehmen. Ich rief Jukka Vatanen an, erreichte aber nur den Anrufbeantworter. Vielleicht gehörte Vatanen zu denjenigen, die sich bei unbekannten Anrufern grundsätzlich nicht meldeten. Ich hinterließ eine Rückrufbitte unter meinem Namen, ohne zu sagen, worum es ging.
Nach vier Uhr erhielten wir die Nachricht, Syrjänen sei so weit bei Kräften, dass wir ihn besuchen dürften. Julia hatte inzwischen ihr übliches Glamour-Make-up aufgelegt und ein kurzes Kleid angezogen, in dem ihre Beine kilometerlang wirkten. Da sie sich obendrein in ihren Nerzmantel warf, erregte sie in der Klinik gewaltiges Aufsehen.
Syrjänen war in ein Dreibettzimmer auf der Station S 4 verlegt worden. Ich begleitete Julia bis zur Zimmertür, wo sie verkündete, sie wolle ungestört mit ihrem Verlobten sprechen. Also blieb ich fügsam auf dem Flur stehen, bezweifelte allerdings, dass Julia die ersehnte Privatsphäre vorfinden würde. Der Krankenhausgeruch stieg mir in die Nase, obwohl ich durch den Mund atmete. Es geschah meinem Vater ganz recht, dass er seit Jahrzehnten in einer solchen Umgebung dahinvegetieren musste. Hoffentlich wurde er gelegentlich ans Bett gefesselt und in Windeln gesteckt, weil das Pflegepersonal unterbesetzt war. Schade, dass chemische Kastration verboten war, auch die wäre ihm recht geschehen. Ich konnte nicht verhindern, dass mir seine Stimme im Ohr klang, wie ich sie am Telefon gehört hatte: heiser, ein wenig undeutlich wegen der Medikamente. Jetzt würde er meine Nummer nicht mehr erfahren, er konnte mich nicht aufspüren.
Nach zehn Minuten kam Julia zurück.
«Es ist total unmöglich! Bei diesen sabbernden alten Männern kann Usko nicht bleiben. In Finnland darf man einen gesunden Menschen doch wohl nicht zwingen, im Krankenhaus zu liegen! Usko sagt, es war ein Missgeschick. Er hatte noch nie Promazin genommen und wusste nicht, wie stark es ist. Er war müde und wollte schlafen, und es hatte wohl Streit mit Vatanen gegeben … Oder mit Anne. Die Frau kann mich nicht ausstehen, und das nimmt sich Usko zu sehr zu Herzen. Wie dumm, dass wir keine
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