Das Nest des Teufels (German Edition)
glühend heiß, ich konnte ihn kaum trinken und biss erst einmal in das mit Rentierfleisch belegte Roggenbrot. Hanna hatte uns Proviant zurechtgemacht wie Kindern, die zu einem Schulausflug aufbrechen. Juri aß und trank nicht, sondern betrachtete das Bild, das langsam zu Asche wurde.
«Zum Glück hatte er keine Familie.»
«Wer?»
«Rytkönen. Das heißt, er hat Eltern in Iisalmi, aber weder Frau noch Kinder. Sonst gäbe es jetzt noch mehr Waisen auf der Welt.»
«Wie bist du überhaupt an ihn geraten?»
«Er hat mich in Moskau aufgetrieben und mir vorgeschlagen, mit ihm zusammenzuarbeiten. Er wollte mich bei Syrjänen empfehlen, damit ich anständige Arbeit bekäme, statt für Paskewitsch krumme Dinger zu drehen. Dafür müsste ich ihm nur regelmäßig berichten, was in Långvik vor sich ging.»
Rytkönen hatte von meiner Beziehung zu David Stahl gewusst. Es war ausgeschlossen, dass Gezolian nicht auch darüber informiert war. Ich war geradewegs in die Falle gelaufen. Noch sah ich das Fangnetz nicht, aber es würde sich bald um mich zusammenziehen. Oder ich war nur ein Köder, eine Entenattrappe, die die echten Tiere anlockte, sodass der Jäger sie abknallen konnte. Vielleicht würde man dem Lockvogel nicht einmal Schaden zufügen, weil er ohnehin nicht als Braten taugte. Gezolian rechnete wohl damit, dass er durch mich an David Stahl herankam.
Und David war bereits im Maul des Wals gewesen, aber der Wal hatte es nicht bemerkt. David musste das SR - 90 an einem Ort versteckt haben, wo es in Sicherheit war. Ich konnte mir mehrere Verstecke vorstellen. Eines davon war die Mönchszelle von Bruder Gianni im Kloster Sant’Antimo. Dort hatte David problemlos Zutritt. Ich wusste nicht einmal, wie groß die Kiste oder das Paket mit dem Isotop war. Man brauchte jedenfalls nicht viel davon, um Hunderte Kubikmeter Wasser zu verderben.
Das Gemälde war inzwischen restlos verbrannt, und Juri saß mit gesenktem Kopf am Feuer. In der Ferne rief ein Schwarzspecht. Ich füllte den zweiten Becher mit Tee und reichte ihn Juri. Jetzt musste ich ihn schon wieder bemuttern. Er war fähig gewesen, in der brenzligen Situation mit Rytkönen kaltblütig zu handeln, aber seitdem war es schwierig mit ihm.
«Sollen wir die Würstchen grillen?», fragte ich, denn nach der Schneeschuhwanderung war ich hungrig. Da Juri keine Antwort gab, tat ich, was ich wollte. Ich öffnete die Packung, strich die Glut zurecht und legte die Würstchen auf den Rost.
«Mutter hat Promazin genommen. Sie meinte, damit könnte sie gut schlafen. Ich habe mich nie getraut, es zu probieren, weil ich nicht wusste, welche Wirkung es hat. Als ich jung war, lag ich oft nächtelang wach, weil es so kalt war und nebenan gestritten wurde. Mutter wollte keinen Schnaps trinken, obwohl der billiger war als die Tabletten. Sie bekam das Promazin als Gegenleistung für Sex. Ich habe es gekauft, weil ich vorhatte, bei Gelegenheit Paskewitsch damit lahmzulegen. Ich wollte ihn zuerst teuren Champagner trinken lassen und ihm dann die Tabletten geben und behaupten, es sei Viagra. Aber Usko war mit mir zusammen in der Apotheke in St. Petersburg und dachte, ich kaufte das Schlafmittel für mich selbst. Ich habe ihm gesagt, dass eine Tablette reicht. Offenbar hat er mir nicht geglaubt.»
Trankow sprach abwesend und trank seinen Tee in kleinen, vorsichtigen Schlucken. Ich hatte beschlossen, die Analyse von Syrjänens Mageninhalt und das Ergebnis der Blutprobe abzuwarten, bevor ich mir weitere Gedanken über seine Vergiftung machte. Vielleicht hatten sowohl Syrjänen als auch Julia recht: Syrjänen hatte eine Tablette und ein paar Drinks zu viel genommen, und Anne hatte etwas in den für Julia vorgesehenen Tee gekippt. Jeder konnte ein hinterhältiger Verräter sein. Für Hanna war es natürlich am leichtesten, wer weiß was in unsere Speisen und Getränke zu mischen. Ich hatte mich über sie informiert, bevor ich die Stelle als Julias Leibwächterin antrat. Hanna Lahtinen war in Pälkäne geboren, sechsundvierzig Jahre alt und zur Köchin und Reinigungstechnikerin ausgebildet. Sie hatte zuerst in einer Kantine gearbeitet, dann die Ausbildung im Fach Gebäudereinigung gemacht und eine eigene Putzfirma gegründet, die schon nach einem Jahr, in der Rezession der 1990 er, in Konkurs gegangen war.
Als Syrjänens erste Frau erkrankte, hatte sie Hanna als Haushälterin eingestellt, und nach ihrem Tod war Hanna geblieben, auch dann noch, als ein halbes Jahr später die zweite Frau
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