Das Nest
mich da wäre. Und da Rupert diese Anforderungen nicht erfüllen könnte, müßten wir uns beide darauf einstellen, daß ich eines Tages mehr brauchen würde.«
»Und wie hat er darauf reagiert?« tippte Lindsay behutsam an.
»Er wirkte völlig zerschmettert. Und ich war ganz erschüttert. Ich hatte ja keine Ahnung gehabt, wie nah ihm unser Verhältnis ging. Er bat mich – nicht, daß er bettelte oder mich drängte, soweit hätte er sich nie vergessen – er bat mich nur, meine Entscheidung noch einmal zu überdenken. Er sagte, in letzter Zeit scheine alles, in das er sein Vertrauen gesetzt hätte, ihn im Stich zu lassen und er wolle nicht, daß uns dasselbe passiere. Er meinte, er brauche Zeit, um seine Zukunft in Hinblick auf meine Worte neu zu überdenken. Das war am Samstag. Zeit war das einzige, worüber er sich nie Gedanken machte. Wissen Sie, wie ich von seinem Tod erfuhr? Ich hab’s in der Zeitung gelesen. Ich saß vor dem Fernseher, während er ermordet wurde.« Ihre Stimme brach und sie wandte sich ab.
Lindsay überlegte kurz, was sie empfinden würde, wenn sie in der Morgenzeitung von Cordelias Tod erführe. Sie schluckte und versicherte: »Es tut mir leid, daß ich Sie noch weiter belästigen muß. Aber ein paar Fragen wären noch sehr wichtig. Wissen Sie, was er meinte, als er sagte, daß alles, worauf er vertraut hatte, ihn im Stich gelassen habe? Worauf spielte er da an?«
Alexandra putzte sich die Nase und wischte die Tränen aus den Augen, bevor sie sich wieder zu ihnen umdrehte. »Rupert sagte, er wäre enttäuscht von Simon. Er hätte sich seinen Sohn anders vorgestellt. Er klang sehr bitter, wollte aber nicht so recht mit der Sprache heraus. Es gehörte eigentlich sonst gar nicht zu seinen Angewohnheiten, Familienangelegenheiten mit mir zu besprechen. Trotzdem, vor ein paar Wochen kam er zu mir und erzählte, er hätte etwas über Ros herausgefunden, das ihn sehr beunruhige. Er denke sogar ernsthaft daran, seine Investitionen in ihr Restaurant zurückzufordern. Ich hab’ ihn gefragt, was los sei, schließlich kenne ich Ros seit meiner Kindheit. Ich nahm an, er wäre schließlich draufgekommen, daß sie lesbisch ist.«
»Das wußten Sie?«
»Sicher. Ich war eine der ersten, der sie’s erzählt hat. Seit damals hab’ ich sie nur noch selten gesehen: Ich fühlte mich irgendwie unbehaglich. Aber mir wäre nie eingefallen, es Rupert gegenüber zu erwähnen. Ich wußte, welche Auswirkungen das auf ihn gehabt hätte. Und ich vermute immer noch, daß das der Grund für seine Wut auf Ros war. Aber auch über den Verband hat er sich furchtbar aufgeregt. Er war dem Kassenwart hinter irgendwelche finanziellen Tricks gekommen. Statt eines großen Betrags, um die siebentausend, befanden sich plötzlich nur noch fünfhundert Pfund auf dem Konto. Rupert konfrontierte den Kassenwart mit dieser Entdeckung und der war nicht imstande, eine zufriedenstellende Erklärung zu liefern. Rupert glaubte fest, daß er das Geld verwendet hatte, um damit an der Börse zu spekulieren und mit den Gewinnen seine eigenen Taschen zu füllen. Aus dem Grund wollte er das Thema auch auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung bringen. Und bei Ruperts Ärger wäre die wohl ziemlich stürmisch verlaufen: Er hatte Blut geleckt.«
Plötzlich erweckten ihre Worte in Lindsay eine Gedankenverbindung, die bis dahin in ihrem Unterbewußtsein gedämmert hatte. Die Wiederholung einer Wortwendung kombiniert mit dem zufälligen Zusammentreffen von Ziffern verhalf ihr blitzartig zum Durchblick. »Carlton Stanhope«, sagte sie.
Alexandras Gesicht nahm einen entsetzten Ausdruck an. »Wer hat Ihnen denn das erzählt?« fragte sie. »Das hat doch niemand gewußt. Da bin ich mir ganz sicher. Ich hätte Rupert nie so verletzen können. Wer war’s?«
Lindsay lächelte mitfühlend. »Sie selber, gerade vorhin. Sie haben einfach Pech gehabt, das ist alles. Heute vormittag führte ich ein Gespräch mit Carlton. Er erzählte mir die William-Mallard-Story. Und nannte genau dieselben Zahlen wie Sie eben, obwohl dieser Bereich kleine Ungenauigkeiten geradezu herausfordert. Sie haben auch ein paar gleiche Formulierungen verwendet. Natürlich waren Sie es, die ihm davon erzählt hat. Und die Person, der Sie so etwas anvertrauen würden, mußte ein Ihnen sehr nahestehender Mensch sein. Übrigens halte ich es für keine gute Idee, diese Sache vor der Polizei verheimlichen zu wollen. Wahrscheinlich weiß die ohnehin schon davon; schließlich hat mich der
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