Das Nest
Kommissar auf Carlton als Informationsquelle über Rupert aufmerksam gemacht.«
»Wenn die Polizei mich fragt, sage ich die Wahrheit«, erwiderte Alexandra, nun wieder beherrscht. »Aber ich möchte nicht mit Ihnen darüber diskutieren. Ich habe mehr als genug gesagt, wenn ich bedenke, daß Sie eigentlich keinerlei Recht haben, sich einzumischen.«
Lindsay versuchte, gleichmütig zu wirken. »Das ist Ihre Entscheidung. Nur noch eine Frage: Es ist wirklich wichtig. Trug Rupert normalerweise eine Waffe bei sich?«
Alexandras Züge spiegelten ihre Überraschung wider. »Eine Waffe?« stammelte sie ungläubig.
»Ja, einen teuren zweiundzwanziger Revolver, was immer das auch für ein Ding ist. Er trug ihn, als er ermordet wurde.«
Alexandras Erstaunen ging in Bestürzung über. »Aber weshalb? Ich versteh’ das nicht. Glauben Sie, daß er sich der Gefahr bewußt war?«
»Es sieht ganz danach aus. Wußten Sie von der Waffe? Laut meinen Informationen war sie auf seinen Namen zugelassen. Alles in perfektester Ordnung.«
Alexandra schüttelte langsam den Kopf. »Ich hab’ ihn nie mit einer Waffe gesehen. Mein Gott, wie gräßlich. Er muß solche Angst gehabt haben. Und trotzdem, er hat nie etwas davon erwähnt. Ach, armer, armer Rupert.«
»Es tut mir leid, daß ich Ihnen das nicht ersparen konnte«, versicherte ihr Lindsay. »Schauen Sie, falls Sie Ihre Meinung ändern und weiter mit mir reden wollen – Sie können mich jederzeit über Judith erreichen«, fügte sie hinzu, während sie sich in Richtung Tür bewegte.
»Ach ja, übrigens«, fiel ihr noch ein, als Judith aufstand, um ihr zu folgen, »wann erwähnten Sie Carlton gegenüber, was Rupert zum Thema Überdenken der Zukunft gesagt hatte? Samstag abend – oder Sonntag früh?« Sie wartete die Antwort, deren Wahrheitsgehalt sie recht niedrig einschätzte, nicht ab. Der angstvolle Ausdruck in Alexandras Augen bot Aufschluß genug.
ZEHN
Die Geschwindigkeit, mit der Lindsay die Autobahn entlang fuhr, hätte bei einem modernen Hochleistungsmodell die Bezeichnung ›zahm‹ erhalten. In ihrem Sportcabrio entwickelte sich die Fahrt jedoch zu einem furchterregenden Abenteuer. Deborah war froh, daß Lindsays Bericht über den aktuellen Stand der Dinge ihre gesamte Aufmerksamkeit erforderte. »Wie du siehst«, beschwerte Lindsay sich gerade, »hat Alexandra eine ganz neue Palette von Möglichkeiten eröffnet. Aber je mehr ich herausfinde, desto weniger weiß ich. So langsam glaube ich wirklich, ich bin für derartige Angelegenheiten nicht geeignet. Ich seh’ einfach keinen Sinn dahinter.«
»Das hört sich aber gar nicht nach dir an, Lin«, entgegnete Deborah mit einem Lächeln. »Versuch doch, logisch zu denken. Wir wissen jetzt, daß gar nicht so wenige Leute zumindest einen leisen Groll gegen den feschen Rupert hegten. Gehen wir sie doch einmal durch. Einfach laut denken.«
»Na gut«, antwortete Lindsay. »Nummer eins: Simon, der Sohn. Aus unbekannten Gründen war ihm die Gunst entzogen worden. Das klingt nach mehr als der Sturheit, mit der er sein Recht auf Unabhängigkeit verteidigt und die Computerfirma aufgemacht hat. Aber wieviel mehr wissen wir nicht. Noch nicht. Nummer zwei: Ros, die Tochter. Aus einem nicht genannten Motiv dachte Rupert ernsthaft an einen Ausstieg. Das hätte eine wirkungsvolle Waffe im Kampf gegen die Apartheid werden können oder auch nicht, für ein kleines neugegründetes Restaurant, das sich gerade zu etablieren versucht, mußte es eine gewichtige Bedrohung darstellen. Mit etwas Glück wird der heutige Abend unsere Fragen zum Thema Ros beantworten. Aber wenn ich mir die Mittelschicht so anschaue, möchte ich fünf zu eins wetten, daß es sich bei der Legende von Papas Unzufriedenheit mit dem Töchterchen um eine weitere Abwandlung des berühmt-berüchtigten Lesbenthemas handelt. Nummer drei: Emma Crabtree. Letzten Samstag beschloß unser guter Rupert, seine Zukunft neu zu überdenken. Wir wissen nicht, ob er Emma von Alexandra erzählt hat; ob er zum Schluß gekommen ist, daß er eine Scheidung wünschte und ob diese Aussicht eine Frau, die sicher nicht zu den trauerndsten Witwen meiner bisherigen Journalistinnenlaufbahn zählt, entzückt oder entsetzt hätte. Das wirft eine Menge Fragen auf. Nummer vier: Alexandra. Sie fürchtete sich vor seiner Wut und davor, daß er sie nicht ohne unangenehme Szenen gehen lassen würde. Und sie hatte genug von ihm, sie will Stanhope. Ich für meinen Teil halte sie nicht für schuldig, obwohl
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