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Das Nest

Titel: Das Nest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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diesem späten Stadium noch einen Zeugen auftreiben würde. Dagegen sprach auch die Tatsache, daß sie diese Vorgehensweise bisher generell kaum angewandt hatte.
    »Es sei denn, es überschneidet sich mit der Morduntersuchung«, murmelte Lindsay beiläufig.
    »Vielen Dank für die Aufmunterung«, erwiderte Deborah. »Und jetzt nichts wie fort mit euch! Schließlich muß jemand die Polizei daran hindern, daß sie noch mehr Fehler macht. Ihr tut es für mich .«
    Judith erhob sich zögernd. »Bist du sicher, daß das eine gute Idee ist? Ich meine nur, Alexandra ist eine Art Freundin, zumindest der Familie. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie es freundlich aufnehmen soll, wenn wir uns jetzt einmischen und von ihr Antworten über Rupert erwarten…«
    »Betrachte es doch mal von der Seite«, forderte Lindsay sie auf. »Die Ereignisse überstürzen sich und treiben Debs als naheliegende und bequeme Übeltäterin in Riganos Arme. Debs ist deine Klientin. Also würdest du deine berufliche Pflicht verletzen, wenn du nicht jede Möglichkeit ausforschst, um ihre Schuldlosigkeit zu beweisen. Das ist doch richtig, oder?«
    Judith nickte mißtrauisch. »Ich glaub’ schon«, räumte sie ein. »Was aber nicht heißt, daß ich mich bei der Sache auch nur einen Deut besser fühle.« Lindsay sah Judith fest in die Augen. Die Anwältin preßte ihre Lippen zusammen und sagte: »Na, dann komm schon. Wenn wir gleich gehen, erreichen wir sie vielleicht noch im Büro. Das erscheint mir von allen Varianten die einfachste.«
    Dank Judiths Fahrweise, die stark von ihren Befürchtungen in Hinblick auf das bevorstehende Gespräch beeinflußt war, brachten sie es auf fast zwanzig Minuten bis zu Alexandras Büro. In der Viertelstunde, die sie im Warteraum von Hampson, Humphrey and Brundage verbrachten, während Alexandra mit ihrem letzten Klienten beschäftigt war, stieg ihre Nervosität weiter an. Als sie schließlich aufgerufen wurden, schoß Judith wie von der Tarantel gestochen und mit Lindsay im Schlepptau hinein. Alexandra Phillips Büro war kaum größer als eine Rumpelkammer und wurde von Aktenschränken und einem normal großen Schreibtisch beherrscht, der in dem winzigen Raum riesig wirkte.
    Die örtliche Gegebenheit beeinträchtigte jedoch in keinster Weise die Ausstrahlung der in ihr arbeitenden Person. Alexandra war hinreißend. Augenblicklich empfand Lindsay Neid auf Rupert Crabtree und verachtete sich gleichzeitig für diese Reaktion. Die Frau, die sich erhob, um sie zu begrüßen, war schätzungsweise einsachtundsiebzig groß. Das glänzende blauschwarze Haar trug sie kurzgeschnitten, was ihre auffallend schöne Kopfform und die mandelförmigen strahlendbraunen Augen betonte. Mit ihrer gesunden goldschimmernden Haut entsprach sie so gar nicht dem gängigen Typ der faden englischen Landschönheit. Und auch in Punkto Kleidung wurden Lindsays Erwartungen enttäuscht. Alexandra trug ein schwarzes Samtkleid mit engem Oberteil und weit schwingendem Rock. So wie sie aussah, hätte sie über jede Menge Selbstvertrauen verfügen müssen, aber leider war ihre Unsicherheit nur zu klar erkennbar. Von Wimperntusche verschmierte Augen zeigten, daß sie geweint hatte und sie machte den Eindruck, als könne sie jederzeit wieder damit anfangen. Die Begrüßung fiel eher formal aus. Judith warf Lindsay einen flehenden Blick zu, die Führung in dem Gespräch zu übernehmen.
    Lindsay zeigte Mitleid und stürzte sich in einen Erklärungsversuch. »Judith hat eine Klientin namens Deborah Patterson.« Alexandras Augenbrauen begannen zu zucken. »Wie ich sehe, sagt Ihnen der Name etwas. Debs ist eine meiner ältesten und besten Freundinnen, und wie’s im Moment aussieht, wird sie demnächst wegen Mordes an Rupert Crabtree angeklagt. Eines Mordes, den sie mit Sicherheit nicht begangen hat. Judith und ich wollen alles tun, damit sie nicht verurteilt wird. Und deshalb stecke ich meine Nase in Sachen, die mich eigentlich gar nichts angehen.«
    Alexandra machte ihrer Verblüffung Luft. »Ich verstehe weder, wer Sie sind, noch was Sie von mir wollen.«
    »Es tut mir leid«, entschuldigte sich Lindsay. »Natürlich haben Sie ein Recht auf eine bessere Erklärung. Ich verfüge über keinen offiziellen Status in der Angelegenheit«, fuhr sie fort. »Ich bin Journalistin. Aber wie die Dinge liegen, ist mir Debs Freiheit wichtiger als ein paar gute Aufhänger. Die Frauen im Friedenscamp haben mich auch gebeten, nötigenfalls für sie mit der Polizei

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