Das Nest
Weg aus verwitterten alten Ziegeln hinauf.
Ein großer hagerer Mann Ende der Vierzig öffnete die Tür. Graue Strähnen durchzogen sein glattes rötliches Haar. Das Leben im Freien hatte sein Gesicht zu einem unschönen Dunkelrot verfärbt, und ein Netz feiner Linien nahm an den äußeren Winkeln seiner lebhaften blauen Augen seinen Ausgang, um sich strahlenförmig über die Schläfen auszubreiten. In seinem Tweedsacko mit den Lederflicken hätte man ihn eher für einen Wildhüter gehalten als für einen Geschäftsmann. Lindsay erschrak ganz plötzlich, weil sie erkannte, daß das der Mann war, den sie kurz vorher beim Verlassen von Mallards Büro gesehen hatte. Sie verbarg ihre Verwirrung, stellte sich vor und versuchte, mit ihrem Presseausweis Vertrauen zu schinden. Warminster führte sie in ein Wohnzimmer mit niedriger Decke und viel Chintz. In kugelförmigen Vasen verströmten Freesien einen intensiv süßlichen Duft.
»Sie schreiben also darüber, was die Einheimischen gegen dieses sogenannte Friedenscamp unternehmen«, sagte er und nahm in einem großen Fauteuil Platz.
Lindsay nickte. »Ich habe gehört, Sie waren recht aktiv in die Gegenbewegung involviert.«
Warminster zündete sich eine kleine Zigarre an und antwortete. »War ich. Und werd’s wahrscheinlich bald wieder sein.«
»Ach ja?« erkundigte sich Lindsay.
»Ich bin mit Crabtree, dem Kerl, der am Wochenende ermordet worden ist, übers Kreuz geraten, und hab’ deshalb in letzter Zeit eher weniger gemacht. Der hat geglaubt, Fordham gehört ihm. Aber jetzt werden wir vielleicht endlich fertig mit diesen linksradikalen Lesbenweibern«, atmete er sichtbar auf.
»Sie waren also mit den Methoden des Vereins Steuerzahler gegen die Zerstörung Brownlows nicht recht einverstanden?« sondierte Lindsay.
Er schnaubte. »So könnte man das ausdrücken. Methoden? Beschwichtigungspolitik, das haben sie betrieben. Und Sie brauchen nur daran zu denken, was uns das in den dreißiger Jahren eingebracht hat. Wir hätten den Krieg in ihr Gebiet tragen und sie aus ihren Verschlagen holen sollen, statt herumzureden und sich nicht festzulegen und immer nur nett zu sein zu diesen verdammten kommunistischen Schwuchteln.« Warminster hatte offensichtlich eines seiner Lieblingsthemen gefunden und wälzte sich glücklich in den bekannten Phrasen. Während Lindsay beim Anhören seiner Haßtiraden alle ihre Energie aufwenden mußte, um ihren ganzen Ärger und ihren Ekel unter Kontrolle zu halten, begann sie langsam zu verstehen, weshalb Gewalt so oft eine Lösung zu sein schien.
Sie gab vor, ausführlich mitzuschreiben. Für Fragen bestand bei Warminster keinerlei Notwendigkeit. Die einzige Schwierigkeit war, ihn wieder abzuschalten. Endlich zog er den demagogischen Schlußstrich. »Sehr aufwühlend, wirklich«, murmelte Lindsay.
»Meinen Sie? Genau das hab’ ich ihnen auch gesagt, am Sonntag abend in Berksbury. Ich hielt dort eine Rede, müssen Sie wissen, auf Einladung der dortigen Konservativen. Sie veranstalteten eine Diskussion zu diesem Thema. So ein schmeichelweicher Pfarrer mit einem schmeichelweichen Pullover vom CND (Campaign for Nuclear Disarmament: größte britische Friedensgruppierung.) war dabei, der lokale Kandidat und ich. War den Ausflug wert, kann ich Ihnen sagen.«
Das Wort Sonntag hatte Lindsays Aufmerksamkeit geweckt. »Das war vergangenen Sonntag abend?« fragte sie. »Die Nacht, in der Crabtree ermordet wurde, meinen Sie?«
»Ganz richtig. Genau um die Zeit, als es ihn erwischte, haben wir im Konservativen Club feierlich unsere Gläschen geleert. Bin erst in den frühen Morgenstunden nach Hause gekommen. Muß sagen, sie waren sehr gastfreundlich dort. Gut, daß ich meine Frau zum Chauffieren mitgenommen hatte, sonst wär’ ich wahrscheinlich nie heimgekommen. Tut mir übrigens leid, daß sie nicht da ist, sie besucht gerade ihre Schwester in Fordham. Wollen Sie sonst noch etwas wissen?«
Alles schien so unschuldig. Und das Alibi klang zuverlässig. Aber instinktiv mißtraute Lindsay Paul Warminster. »Wie ich sehe, haben Sie draußen ein Motorrad stehen. Sind Ihnen eigentlich jemals diese Rowdies über den Weg gelaufen, die das Friedenscamp immer wieder überfallen?«
Die Überraschung war ihm anzumerken. »Natürlich nicht«, erwiderte er. »Warum auch?«
Lindsay machte eine gleichgültige Geste. »Ich hab’ mich nur so gefragt. Ich dachte, da Sie ein Anhänger von offensivem Handeln sind, könnten sie Kontakt zu Ihnen aufgenommen
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