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Das Nest

Titel: Das Nest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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seine Unterschrift nötig?«
    Eine Sekunde lang traf Lindsay der pure Haß aus den Augen ihres Gegenübers. »Aber sicher, sicher, liebes Mädchen. Und Rupert hat es ja auch unterzeichnet – gemeinsam mit einem Berg anderer Papiere. Er hat einfach gar nicht realisiert, worum es sich handelte. In so einem Fall passiert das sehr leicht.«
    »Nach gewissenhaftem Rechtsanwalt klingt das zwar nicht. Aber Sie scheinen ja auf alles eine Antwort zu haben, Mr. Mallard.«
    Diesmal war sein Lächeln echt. »Weil ich nichts zu verbergen habe, meine Liebe. Wenn das alles ist, ich muß noch etwas erledigen…«
    »Eins noch: Da Sie ja nichts zu verbergen haben, können Sie mir vielleicht mitteilen, wo Sie sich am Sonntag abend, so ungefähr ab zehn Uhr, aufgehalten haben?«
    Endlich gab das penetrante Lächeln seinen Geist auf. »Das geht Sie nichts an«, wurde er patzig.
    »Stimmt. Aber ich nehme an, Sie haben es ohnehin schon der Polizei erzählt. Nein? Na, dann werden sie sicher bald Gelegenheit dazu bekommen. Kommissar Rigano ist sehr interessiert an den Leuten, mit denen ich zu tun habe…«
    Lindsay wußte, daß der entscheidende Moment gekommen war. Mallard gab nach. »Ich habe den ganzen Abend zu Hause verbracht.«
    »Das sich wo genau befindet?«
    Er rutschte hin und her auf seinem Sitz. »Brownlow Common Cottages. Vier Türen von den Crabtrees entfernt.«
    Jetzt war es Lindsay, die lächelte. »Wie praktisch. Und Sie waren – allein?«
    Er schüttelte den Kopf. »Meine Frau war daheim. Sie ist fast immer zu Hause, wissen Sie. Sie leidet an multipler Sklerose und sitzt im Rollstuhl.«
    Was für ein Leben, dachte Lindsay. Arme Frau, angewiesen auf den Rollstuhl und ihn. Sie wartete, und schon redete er weiter. Augenscheinlich fühlte er sich bei Schweigen nicht wohl.
    »Ich half ihr ins Bett, da war es etwa zehn. Für die Zeit danach kann es also nur für mich nachteilige Angaben geben: Meine Frau könnte aussagen, daß sie mich nicht hinausgehen oder hereinkommen gehört hat, meinen Wagen nicht gehört hat. Ich habe wirklich keine Ahnung, wieso ich Ihnen das alles erzähle«, fügte er pikiert hinzu.
    »Nein?« erwiderte Lindsay. »Vielen Dank für Ihre Zeit.« Abrupt stand sie auf und verließ den Raum. Die Angestellte im vorderen Büro blickte überrascht auf, als sie hinausrauschte. Lindsay schritt die Hauptstraße zum Parkplatz hinunter, wo sie den MG abgestellt hatte. Es irritierte sie, daß es ihr nicht gelungen war, Mallards Beherrschung zu durchbrechen. Sie hatte sogar vergessen, ihn nach seiner persönlichen Meinung zu dem Mord zu fragen. Aber eigentlich konnte sie seine Antwort ohnehin voraussehen: Verantwortlich waren ›diese Frauen‹. Für ihre eigene Einschätzung Mallards spielte seine Antwort keine Rolle. Von allen Leuten, mit denen sie bisher gesprochen hatte, war er ihr Lieblingsverdächtiger. Er hatte Gelegenheit gehabt, soviel war klar. Er sah auch robust genug aus, um über die erforderliche Kraft zu verfügen. Und das Motiv schien absolut eindeutig. Ein Gerücht, das von Rupert Crabtree in die Welt gesetzt worden wäre, hätte gereicht, um die beruflichen Aussichten eines Mannes in einer Kleinstadt zu zerstören, besonders, wenn diese Aussichten auf Vertrauen beruhten. Ein solches Risiko konnte Mallard sich logischerweise nicht leisten, schon wegen seiner Frau nicht, deren Behinderung ihm einen weiteren triftigen Grund lieferte, ihren komfortablen Lebensstil nicht aufzugeben.
    Beim Wegfahren warf sie einen Blick in den Spiegel und suchte die Gegend nach Riganos blondem Stapozisten ab. Keine Spur vom roten Fiesta. Sie schwenkte in den Verkehr ein und stieg aufs Gas, um rechtzeitig zur Verabredung mit Paul Warminster zu kommen. Seine Anweisungen befolgend verließ sie Fordham in die Brownlow entgegengesetzte Richtung. Vorstadtstraßen machten einer ländlicheren Umgebung Platz. Eine Gegend wie aus dem Bilderbuch, dachte Lindsay, die gerade wieder einmal einem akuten Anfall von brennender Sehnsucht nach den Buchten und Bergen ihrer Heimat zum Opfer fiel. Einige Kilometer außerhalb der Stadt donnerte sie von der Hauptstraße hinunter auf eine schmale Landstraße. Bald erreichte sie ein strohgedecktes und an eine umgebaute Scheune angegliedertes Häuschen. Der Garten war ein einziges Blütenmeer aus Narzissen und Krokussen mit gelegentlichen Farbflecken kleiner, intensiv blauer Sterne. Das starke Motorrad, das neben der Scheune parkte, paßte überhaupt nicht dazu. Lindsay stieg aus und spazierte den

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