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Das Nest

Titel: Das Nest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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meldete ein R-Gespräch mit der Redaktion des Clarion an. Glücklicherweise war Cliff Gilbert selbst am Apparat.
    »Hier spricht Lindsay, Cliff«, meldete sie sich mit langsamer Stimme. »Hör zu. Ich bin im Moment nicht in der Lage, einen Artikel zu schreiben, aber ich hab’ eine sehr gute Story hier. Wenn ich dir die Fakten durchgebe, könnt ihr es zusammenbauen?«
    »Wie bitte?« rief er in den Hörer. »Was ist denn los mit dir, verdammt noch mal? Geht’s dir nicht gut?«
    »Schau, irgendwer hat gerade versucht, eine meiner besten Freundinnen zu ermorden. Ich bin erschöpft, ich bin naß, stehe wahrscheinlich unter Schock und bin fix und foxi. Ich brauche Hilfe.«
    Tonfall und Worte sagten ihm, daß es ernst war. »In Ordnung, Lindsay«, erklärte er. »Es tut mir leid. Ich verbinde dich mit Tony und du erzählst ihm, was er braucht. Kein Problem. Brauchst du Unterstützung? Ich kann in der nächsten Stunde wen hinunterschicken. Oder ein freier Mitarbeiter aus der Fordhamer Redaktion könnte…«
    »Ich brauche niemanden, Cliff. Aber vielleicht solltet ihr wirklich an Verstärkung denken. Auf mich zählt ihr in den nächsten vierundzwanzig Stunden besser nicht. Gib mir jetzt Tony.« Es folgte eine Reihe von Klickgeräuschen, dann war Lindsay mit ihrem Kollegen Tony Martin verbunden. Offensichtlich hatte Cliff ihn schon vorgewarnt, denn seine Stimme klang ruhig und aufmunternd. Lindsay verdrängte ihre Emotionen und stolperte durch die Ereignisse des Abends. Am Ende ihres Berichts fragte er sie nach den Telefonnummern von Polizei und Krankenhaus. Ihr Kopf war völlig leer.
    »Macht nichts«, sagte er. »Hör zu, ich sorg’ dafür, daß sie es unter deinem Namen veröffentlichen. Die Story ist ein Wahnsinn. Hoffentlich kommt deine Freundin durch. Geh und hol dir einen Schnaps. Es hört sich so an, als könntest du einen brauchen. Okay?«
    »Gut, okay«, seufzte sie und hängte ein. Durch die Glaswand der Telefonzelle sah sie die anderen Reporter ankommen. Sie fühlte sich absolut außerstande, sich mit ihnen zu beschäftigen, und hob schnell wieder den Hörer ab, um zu Hause anzurufen. Beim dritten Läuten nahm Cordelia ab. Lindsays Stimme zitterte, als sie sagte: »Ich bin’s. Kannst du herkommen?«
    »Was?« erkundigte sich Cordelia. »Jetzt? Um Gottes willen – was ist denn? Du hörst dich ja furchtbar an.«
    »Es ist wegen Debs… sie ist angegriffen worden. Irgendwer hat versucht, sie umzubringen. Jetzt bin ich im Krankenhaus. Ich hab’ sie gefunden… es wär’ wirklich schön, wenn du herkommen könntest.«
    Cordelia klang völlig ungläubig. »Jemand hat versucht, Deborah zu ermorden? Aber wie denn? Was ist passiert?«
    »Es hat ein Fackelzug mit Mahnwache stattgefunden. Wir standen am Zaun, etwa fünfzig Meter voneinander entfernt. Da hat sie wer auf den Kopf geschlagen und im Schlamm liegen lassen«, erzählte Lindsay am Rande der Tränen.
    »Das ist ja entsetzlich! Aber du bist in Ordnung?«
    »Körperlich schon. Aber ich bin komplett durchnäßt. Ich hab’ geglaubt, sie ist tot, Cordelia!« weinte Lindsay schließlich in den Hörer. Sie schluchzte hilflos vor sich hin, ohne Cordelias Worte wahrnehmen zu können.
    Als sie sich wieder gefaßt hatte, hörte sie die Geliebte tröstend auf sie einreden: »Beruhige dich, alles wird gut. Komm doch nach Hause. Heute nacht kannst du dort ohnehin nichts mehr ausrichten. Ich würde ja hinunterfahren und dich holen, aber ich hab’ zuviel Wein getrunken.«
    »Ich kann nicht«, kam es wie betäubt.
    »Aber warum denn nicht?« fragte Cordelia. »Schau, hier würd’s dir viel besser gehen. Du kannst ein heißes Bad nehmen und einen Drink und einmal ausschlafen. Komm heim, Lindsay. Sonst mach’ ich mir nur Sorgen um dich.«
    »Ich kann einfach nicht«, antwortete Lindsay. »Es tut sich einfach zu viel hier, als daß ich so einfach weg könnte. Tut mir leid. Ich ruf dich morgen früh wieder an, ja? Danke fürs Zuhören. Gute Nacht, Schatz.«
    »Ich fahr’ morgen ganz zeitig, wie ist das?«
    »Nein, ist schon in Ordnung, vergiß es. Ich weiß auch gar nicht, was mich alles erwartet und wo ich sein werde. Wir hören voneinander.«
    »Paß auf dich auf, Lindsay. Bitte. Ruf mich gleich morgen früh an.«
    Lindsay spürte eine unsagbare Traurigkeit aufsteigen. Sie starrte zur Unfallabteilung hinüber, wo es geschäftig zuging, und sah gerade noch die Tür hinter einem zum Empfangsschalter hinpreschenden Rigano zuschlagen. Sofort wurde er von den Zeitungsleuten

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