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Das Nest

Titel: Das Nest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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ist an den Tagesablauf im Camp gewöhnt. Es ist besser, sie bleibt hier, wo sie Deborah im Krankenhaus so oft wie möglich besuchen kann.«
    »Ich hab’ nur Angst, die Fürsorge könnte dahinterkommen und sie in ein Heim stecken«, erklärte Lindsay.
    »Wenn sich von den Behörden jemand nach ihr erkundigt, werden wir einfach lügen und sagen, sie sei bei ihrem Vater. Bis sie das überprüft haben, ist Deborah wieder gesund«, versicherte ihr Jane. »Und jetzt, trink deinen Kaffee und dann verzieh dich.«
    »Fünf Minuten«, warnte die Krankenschwester, als sie Lindsay in einen kleinen, etwas abseits gelegenen Raum brachte.
    Deborah lag unbeweglich da, den Kopf in Bandagen gewickelt. Ein Röhrchen steckte in ihrer Nase, ein zweites hing an ihrem Arm. Ihr Gesicht war kreidebleich und dunkle Flecken umgaben ihre geschlossenen Augenlider. Lindsay spürte eine Mischung aus Mitleid, Liebe und Wut. Und im Hals dieses Würgen. Auf dem Weg zum Bett merkte sie, daß noch jemand im Raum war und wandte sich halb um. Hinter der Tür saß ein uniformierter Polizeibeamter mit einem Notizbuch in der Hand. Er versuchte ein Lächeln und sagte: »Guten Morgen, Miss.«
    Lindsay nickte ihm zu und setzte sich ans Bett. Vorsichtig nahm sie Deborahs Hand in die ihre. Ihre Lider flackerten sekundenlang, dann öffneten sie sich. So stark waren ihre Pupillen erweitert, daß die Augen nicht mehr blau aussahen. Leichte Runzeln erschienen auf ihrer Stirn bei dem angestrengten Versuch, das Bild vor sich zu fixieren, aber als sie Lindsay erkannte, klärte sich ihre Miene.
    »Lin«, sagte sie mit völlig klangloser Stimme. »Bist das wirklich du?«
    »Ja, Liebste, ich bin’s.«
    »Cara?«
    »Ihr geht’s gut. Josy kümmert sich um sie, alles ist unter Kontrolle.«
    »Gut. Ich bin so müde, Lin. Ich kann nicht denken. Was ist passiert?«
    »Du bist niedergeschlagen worden. Hast du jemanden gesehen, Debs?«
    »Ich bin so froh, daß das wirklich du bist, Lin. Ich glaube, ich sehe Geister. Ich dachte, Rupert Crabtrees Geist verfolgt mich.«
    »Ich bin kein Geist, Debs. Und er kann dich nicht verletzen. Er hat nichts mehr mit deinem Leben zu tun.«
    »Ich weiß, aber hör zu, Lin. Es hört sich verrückt an, das weiß ich, aber ich hab dieses sonderbare Gefühl, daß es Rupert Crabtree war, der auf mich losgegangen ist. Wahrscheinlich drehe ich gerade durch.«
    »Du drehst nicht durch, du hast nur eine Gehirnerschütterung und bist mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt. Aber das gibt sich. Schon bald, glaub mir.«
    »Ja, aber ich bin so sicher, daß er es war. Das ist doch nicht möglich, oder? Genauso, wie er’s nicht gewesen sein kann, den ich am Sonntag in der Nacht gesehen hab’, wie er mit dem Hund spazieren gegangen ist. Denn da war er ja auch schon tot, nicht?«
    »Was?« erstarrte Lindsay plötzlich. »Das war nach seinem Tod?«
    »Ich hab’ dir doch erzählt, wie ich ihn gesehen habe. Da ging er auf sein Haus zu. Aber in Wirklichkeit lag er schon tot neben dem Zaun. Es ist sein Geist, Lin, er verfolgt mich.« Ihre Stimme wurde ganz aufgeregt.
    Lindsay streichelte ihren Arm. »Ist ja gut, Debs. Es gibt keinen Geist, das schwör’ ich dir. Du mußt jetzt schlafen, und wenn du aufwachst, ist dein Kopf wieder viel klarer, ganz sicher. Mach die Augen zu, schlaf. Heute abend bin ich wieder da. Keine Geister, nur die gute alte Lindsay.«
    Ihre beruhigende Stimme verscheuchte die Panik aus Deborahs Gesicht, und bald war die Freundin eingeschlafen. Lindsay stand auf, um zu gehen und der Polizist folgte ihr. Draußen sagte er: »Haben Sie sich da etwas zusammenreimen können, Miss? Dieses ganze Märchen von dem Geist, der sie angegriffen hat?«
    Lindsay schüttelte den Kopf. »Sie ist im Delirium, nehme ich an. Anders kann ich es mir nicht erklären«, antwortete sie.
    Aber als sie die Intensivstation verließ, wußte sie bereits, daß sie gelogen hatte. Das Echo ihrer eigenen Worte hallte in ihrem Kopf nach. Deborahs Geschichte hatte in Lindsay einen Gedankengang von eigenartiger Logik in Bewegung gesetzt. Schließlich verdichteten sich vage Vermutungen zur Gewißheit. Lindsay wurde immer überzeugter, daß die Antwort in Oxford zu finden war.

Vierzehn
    Lindsay verfluchte das Einbahnstraßensystem, das eine Stadt, die sie in- und auswendig kannte, in ein gewundenes Labyrinth verwandelte. Gequält erinnerte sie sich an den Aprilscherz einer Clique Mathematikstudentinnen während ihrer Studienzeit. Sie waren draufgekommen, daß es genügte, ein

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