Das Nest
können, daß sie aus Brownlow stammt. Aber die Chancen steigen, wenn Sie bedenken, wo ich sie gefunden habe: Unter Rupert Crabtrees Papieren. Nach meiner Ansicht ist folgendes passiert: Entweder wurde Simon von den Sowjets ausgeforscht, die von seinen Hackerqualitäten wie von seinen finanziellen Nöten Wind bekommen hatten. Oder er hat sich selber an sie gewandt mit dem Bescheid, daß er den Schlüssel zum Signalsystem der Basis besaß. Wahrscheinlich läuft die Sache noch nicht allzu lange, wenn Sie das tröstet: Er hat das Geschäft erst seit ein paar Monaten. Wie Rupert Crabtree dem Ganzen auf die Spur kommen konnte, ist mir nicht ganz klar. Vielleicht hat er gefunden, daß sich sein Sohn verdächtig benimmt, oder er hat ihn in Gesellschaft fragwürdiger Gestalten beobachtet. Auf jeden Fall ist es ihm gelungen, dieses Band einzustecken. Was das angeht, muß ich wieder raten, aber ich denke, er hat dasselbe getan wie ich – es zu jemandem gebracht, der Computercodes knacken kann und der ihm erzählt hat, worum es sich handelt – um höchst geheime Funksignale. Aber für ihn muß die Entdeckung eine katastrophale gewesen sein. Da ist er, eine Säule der Gesellschaft, in vorderster Front einer Kampagne gegen die Linken, und sein Sohn ein Spion für die bösen Russen. Fairerweise möchte ich auch sagen: Nach allem, was ich über Rupert Crabtree gehört habe, wäre die persönliche Blamage sicher nicht das einzige gewesen, worüber er sich aufgeregt hätte. Ich glaube, er war ein Patriot und hat sein Land wirklich geliebt. Seine politische Anschauung ist mir fremd, aber ich halte ihn nicht für einen Faschisten auf dem Machttrip. Simon auf die Schliche gekommen zu sein, muß ihn fertiggemacht haben. Das paßt auch zu dem, was Alexandra Phillips sagt. Sind Sie bis hierher meiner Meinung?«
Ernst erwiderte Rigano: »Eine interessante Hypothese. Ihre Analyse von Crabtrees Charakter trifft ziemlich ins Schwarze. Aber fahren Sie fort. Sie haben offensichtlich einiges ausgegraben, von dem ich nichts weiß.«
Lindsay lächelte. »Dafür werden Journalistinnen bezahlt.«
Er runzelte die Stirn. »Theoretisch. Aber nicht, wenn sie vereinbart haben, mit mir zusammenzuarbeiten. Also gut, weiter.«
»Nachdem er Simons Verrat bemerkt hatte, waren Crabtrees Möglichkeiten ziemlich eingeschränkt. Sicher hat er gleich gewußt, daß einfach weiterzumachen, als wäre nichts geschehen, nicht in Frage kam. An Sie konnte er sich auch nicht wenden, das hätte sein ganzes Leben zerstört. Die Decke wäre ihm über dem Kopf zusammengebrochen, und wenn erst die Presse angefangen hätte, herumzuschnüffeln, wäre alles Mögliche herausgekommen: Seine Beziehung zu Alexandra, die Verbindungen der Steuerzahler gegen die Zerstörung Brownlows zur gewaltanwendenden Rechten. Es hätte ihn im Ort beruflich erledigt. Für ihn und seine Frau wäre die Schande unerträglich gewesen, und er war zu alt, um woanders noch mal ganz von vorne anzufangen. Natürlich hätte er Simon mit seinem Wissen konfrontieren und ihn mit der Drohung, die Behörden zu informieren, zum Aufhören zwingen können. Aber andererseits wäre es für ihn kaum möglich gewesen, das Ergebnis einer solchen Erpressung zu kontrollieren. Und wahrscheinlich hat Simon seinen Vater auch so gut gekannt, daß ein Bluff nicht gezogen hätte. Sie wären also in einer Pattsituation gelandet. Und Crabtree hätte nur wenig Phantasie gebraucht, um sich die Folgen auszumalen, wenn Simon seinen Auftraggebern gegenüber erwähnte, daß sein Vater von seiner Spionagetätigkeit wußte.«
»Die einzige Alternative war, den Sohn loszuwerden, der die Familie und das Land in Gefahr brachte.«
Rigano nahm einen Bleistift und begann, auf einem Blatt Papier neben dem Telefon vor sich hinzukritzeln. Er blickte auf. »Reden Sie weiter«, sagte er.
»Was soll ich Ihnen noch erzählen? Crabtree besaß eine Schußwaffe und die erforderliche Genehmigung. Er wußte auch damit umzugehen. Wahrscheinlich hat er sie nur für den äußersten Notfall eingesteckt. Da er den Verdacht sicher auf die Frauen vom Camp lenken wollte, wäre die Pistole außer als Drohung nicht sehr sinnvoll gewesen. Umbringen hätte er ihn auf eine andere Art müssen. Er arrangierte ein geheimes Treffen mit Simon auf dem Common. Als er den Revolver zog, hat Simon ihn in einer Panikreaktion überwältigt. Sobald ihm klar war, daß es für ihn nur eine Chance gab davonzukommen, erschlug er seinen Vater. Daraufhin ging dieser beherrschte
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