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Das Nest

Titel: Das Nest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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eigentlich vorging.
    Sie hörte, wie er seufzte. Sein Atem durchdrang als weißer Hauch die Nachtluft. »Schauen Sie«, sagte er im Tonfall Marke ›vernünftig‹. »Öffnen Sie lieber gleich. Sonst fliegt Ihnen halt ein Ziegel durchs Fenster. Oder, wo Sie uns nun schon den Gefallen getan haben, mit dem Cabriolet aufzukreuzen, es schlitzt das Stanleymesser durchs edle Verdeck. Sie dürfen sich’s aussuchen.«
    Er sah absolut fähig aus, seine Drohungen wahr zu machen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Als sie die Tür entriegelte, empfand Lindsay plötzlich Sehnsucht nach so einem Leben ohne moralische Skrupel und lange Überlegungen, in dem es hundertprozentige Sicherheiten gab. Unverzüglich riß er die Tür auf und deutete ihr mit dem Daumen auszusteigen. Starr blieb sie sitzen. Da mischte sich von hinten eine zweite Stimme ein.
    »Wenn ich Sie wäre, würde ich tun, was er sagt.« Lindsay fuhr herum und erblickte den lässig gegen ihr Auto gelehnten Stone. Irgendwie war sie gar nicht überrascht. Sie fühlte sich sogar etwas erleichtert. So konnte sie wenigstens sicher sein, mit welcher der beiden Seiten sie es zu tun hatte. Jack Rigano, du Arschloch, dachte sie.
    Stone lächelte ermutigend. »Ich versichere Ihnen, daß Sie innerhalb der nächsten paar Minuten auf die eine oder andere Art dieses Auto verlassen werden. An Ihnen liegt es, wie schmerzlos diese Erfahrung wird. Und lassen Sie sich nicht zu einem Kräftemessen hinreißen. Sie können mir glauben, daß Ihr Leiden bedeutend heftiger ausfallen wird als das unsere. Warum steigen Sie jetzt nicht einfach aus?« Die langsame und unter normalen Umständen besonders viel Gutmütigkeit ausstrahlende Sprechweise des Westens verlieh seiner Stimme zusätzliche Grausamkeit.
    Lindsay drehte sich um zu Mephisto. Wenn er sich in der Zwischenzeit nackt ausgezogen hätte, wäre es Lindsay nicht aufgefallen. Aber die kleine Pistole in seinen Händen, die beharrlich auf ihr rechtes Bein zielte, fesselte ihre Aufmerksamkeit. Ein letztes trotziges Aufflackern mischte sich in ihre Angst und sie entgegnete kurz angebunden: »Weil ich nicht aussteigen will!«
    Dauerwelle schlenderte hinter dem Auto an Stone vorbei und baute sich vor ihr auf. Er griff in seine Hosentasche, und plötzlich sah sie die funkelnde Klinge aus seiner Faust hervorschnellen. Schon lehnte er im Wagen, während Lindsay wegzuckte. Sie mußte an einen bösartigen Affen denken. Ein paarmal schwang er das Messer vor ihren Augen hin und her, dann schlitzte er mit einer einzigen raschen Bewegung ihren Sicherheitsgurt in der Mitte durch. Die Enden baumelten nutzlos von ihrem Körper. Mit einem nachdenklichen Blick auf das weiche schwarze Vinyldach zog er sich zurück.
    »The first cut is the deepest«, sinnierte Stone laut vor sich hin. »Ja ja, mit dem Messer, da kennt er sich aus. Er ist übrigens Spezialist für diese garstigen Narben, die Sie Ihr ganzes Leben nicht loswerden. Aber umbringen tut er Sie nicht, keine Sorge. Nur, ob Deborah Patterson dann auch noch so interessiert sein wird? Oder die begnadete junge Frau, mit der Sie zusammenleben? Spielen Sie nicht die Heldin, Lindsay. Steigen Sie aus.«
    Seine sachliche Art und die Verwendung ihres Vornamens entsetzten sie weit mehr als das Springmesser oder die Pistole. Stones ruhige Drohungen lagen auf einer ganz anderen Ebene. Lindsay kannte sich gut genug, um zu wissen, daß er über die Macht verfügte, ihr Leben mit paranoiden Alpträumen zu vergiften. Im Moment hielt sie Kooperation für das beste Verhalten, um ihre Angst zu bekämpfen. Sie stieg aus dem Auto. »Lassen Sie die Schlüssel stecken«, wies Mephisto sie an, als sie sie vor dem Aussteigen automatisch abziehen wollte.
    Nachdem sie sich aufgerichtet hatte, kam Stone auf sie zu und packte ihren rechten Arm über dem Ellbogen. Geschwind hatte er ein Paar Handschellen an ihrem einen Handgelenk befestigt. »Bin ich jetzt verhaftet, oder was?« erkundigte sie sich. Er ignorierte die Frage.
    »Hinüber zum Lieferwagen, bitte«, kam es statt dessen höflich. Im Gegensatz zu seinen wohlgesetzten Worten drehte er ihr den Arm brutal auf den Rücken und führte sie zum hinteren Einstieg des Lieferwagens. Dauerwelle machte die beiden Türen auf und schaltete ein winziges Licht ein. Zu beiden Seiten erspähte Lindsay je eine Bankreihe, bevor Stone sie hineinschubste und den andere Teil ihrer Handschellen an einer der Stahlstreben im Inneren der Ladefläche befestigte. Dann wurden die Türen hastig

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