Das Netz Der Grossen Fische
stellte die Suppenterrine auf den Tisch. »Gebt mir eure Teller.«
Die Fischsuppe war hervorragend. Die ersten Löffel aßen sie in aller Stille. Es war, als hätte keiner die Kraft oder Lust, diese Stille zu durchbrechen. Giulia fing als Erste an zu sprechen.
»Wie geht es Gianfranco?«
Das war Mariellas und Carlos Sohn, ein Knirps von sieben Jahren.
»Dem geht’s gut, er ist bei den Großeltern.«
»Und … Carlo?«, fragte Giulia weiter.
Warum hatte sie die Frage so zögernd gestellt? Instinktiv musterte Michele Mariella. Ihr Blick hatte sich verdüstert. Aber sie kam gar nicht dazu zu antworten, weil im anderen Zimmer das Telefon schrillte.
»Entschuldigt mich«, sagte Mariella, erhob sich und ging hinaus.
»Carlo geht es nicht gut«, erklärte Giulia.
»Was hat er denn?«
»Irgendwas am Herzen. Er müsste operiert werden. Mariella macht sich wirklich große Sorgen.«
»Steht es so schlimm um ihn? Heutzutage …«
»Das Problem ist Carlo. Er hat entsetzliche Angst vor der Operation, die eigentlich eine Kleinigkeit ist. Er schiebt es immer wieder vor sich her und findet jeden Tag eine neue Ausrede.«
»Das war Carlo. Es geht ihm gut.«
Obwohl die Fischsuppe wirklich delikat war, ließen alle drei ihren Teller halb voll stehen. Aus dem einen oder anderen Grund war ihnen die Lust am Essen vergangen. Das Abendessen verwandelte sich im weiteren Verlauf in ein Paradebeispiel der perfekten Langeweile. Die Gespräche versandeten immer schon nach wenigen Minuten. Wie die Musik bei einem alten Grammophon mit Handkurbel klangen die Themen ohne Abschluss in immer stockender und langsamer gesprochenen Worten aus.
»Geht doch schon rüber, während ich abräume«, sagte Mariella schließlich.
»Ich helf dir schnell«, sagte Giulia.
Michele blieb allein im Salon zurück. Es war klar, dass Giulia dieses Treffen arrangiert hatte, weil sie ihm etwas zu sagen hatte, aber offenbar hatte sie noch nicht den richtigen Weg dafür gefunden.
Er war sich sicher, dass sie sich in der Küche mit ihrer Freundin beriet, was sie nun tun solle. Was ihn betraf, wäre es übertrieben gewesen zu behaupten, dass er es geschafft hätte, seine Fassung wiederzuerlangen. Der schlimmste Augenblick war nicht, als er sie eintreten sah, sondern danach, als sie allein am Tisch gesessen und Prosecco getrunken hatten. Er war, wie von einem Strudel angesogen, in die Vergangenheit eingetaucht und sah wieder ihre Augen, als sie ihm eröffnete, sie habe sich in einen anderen verliebt.Damals hatte er sich auf einen Schlag völlig leer gefühlt, doch nicht psychisch, sondern körperlich. Er war nur noch eine leere Hülle, ohne Herz, ohne Lunge, ohne Leber oder Magen.
Diese Worte hatten ihn in einen Kadaver verwandelt, ja, in einen Kadaver, der zur Mumifizierung vorbereitet wurde. Und zur Mumie war er ja auch geworden, wenn man es recht bedachte. Eine Mumie, die zwar aß und vögelte, nachdachte und redete, sich aber doch immer fühlte, als hätte sie keine lebenswichtigen Organe mehr.
Die Frauen kehrten gemeinsam ins Esszimmer zurück. Michele saß auf dem Sofa. Und mit völliger Selbstverständlichkeit setzte Giulia sich neben ihn. So hatten sie auch immer dagesessen, als sie noch als Ehepaar zum Abendessen vorbeigekommen waren.
»Whisky pur für euch beide, so wie immer?«, fragte Mariella.
»Ja«, sagten sie im Chor.
Mariella bediente sie und ließ die Flasche auf dem kleinen Tischchen stehen. Sie selbst trank keinen Alkohol und nahm sich eine Praline aus einer Schachtel. Die beiden nippten schweigend an ihrem Whisky.
Ist das jetzt etwa wieder der Auftakt zur großen Langeweile?, fragte sich Michele.
Doch Giulia so nahe zu sein verlieh ihm auf eigentümliche Weise Trost, der ihm angenehm war und ihm zugleich Unbehagen bereitete.
Dann, mit einem Mal, erhob sich Mariella, die wie gewohnt in einem Sessel neben Giulia gesessen hatte.
»Ich gehe nach nebenan und sehe ein bisschen fern.«
Offensichtlich hatten die beiden Frauen das so miteinanderabgesprochen. Und nun würde Giulia ihm endlich den Grund für ihr Treffen verraten. Doch sie trank weiter in aller Ruhe ihren Whisky, ohne ihn anzuschauen.
Da glaubte er, unversehens den Grund für diese Zusammenkunft durchschaut zu haben. Warum war er eigentlich nicht schon viel eher darauf gekommen? Er entschloss sich, das Thema von sich aus zur Sprache zu bringen, denn sie würde niemals den Mut dazu finden.
»Giulia, entschuldige, aber ich möchte diese Gelegenheit nutzen … um dich zu
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