Das Netz Der Grossen Fische
Manlios Verhaftung in den Brennpunkt des Interesses zu stellen und die Nachricht über die Entführung von Restas kleiner Tochter unter »ferner liefen« zu bringen, vorausgesetzt, Giacomo fand überhaupt einen Beweis dafür. Und weil er diese Angelegenheit erwähnt hatte, musste Michele der Redaktion die ganze Geschichte von der Entführung erzählen und erklären, warum sie sich dagegen entschieden hatten, die Nachricht am Vortag zu senden.
»Ich verstehe dich nicht, Alfio«, sagte Michele. »Als es neulich um die Ermittlungsbenachrichtigung ging, die ich nicht durchgehen lassen wollte, hast du mir vorgeworfen, dass ich dir den Knüller genommen hätte.«
»Na und?«
»Was heißt hier ›na und‹? Erklärst du mir vielleicht mal, was du unter einem Knüller verstehst?«
»Ist das hier jetzt etwa ein Journalismus-Seminar?«
»Nein, Alfio, ich sage lediglich, dass die Verhaftung keineSensationsmeldung ist, sondern eine offizielle Nachricht, wohingegen die Blitz-Entführung von Restas Tochter sehr wohl eine ist. Das ist nämlich etwas, was bis zu diesem Augenblick nur wir wissen. Richtig?«
»Richtig.«
»Wenn wir die publik machen, landen wir damit einen Knüller. Das ist der ganze Unterschied, mein lieber Alfio.«
»Außerdem«, schaltete sich Mancuso ein, »beweist diese Entführung zweierlei: erstens, dass Resta keine Bestechungsgelder eingesackt hat und sich deshalb auf Manlios Seite schlug.«
Alfio wurde blass.
»Wollen wir unseren Streit von neulich wieder aufwärmen?«, fragte er polemisch.
»Ich denke gar nicht dran. Und zweitens, dass Resta zu Manlios Entlastung etwas wirklich Hieb- und Stichfestes vorzuweisen hatte.«
»Ach ja? Vielleicht so hieb- und stichfest, dass Di Blasi die Benachrichtigung in Untersuchungshaft umgewandelt hat?«, fragte Alfio ironisch.
Michele sah voraus, dass sich hier wieder eine der üblichen nervtötenden Auseinandersetzungen zwischen den beiden anbahnte.
»Hört zu, lasst es dabei bewenden. Wenn Giacomo uns irgendwas Konkretes vorlegt, dann ist es okay. Ansonsten können wir über diese Entführung keine Meldung rauslassen.«
Punkt halb fünf wurde Caruso von der Pförtnerloge aus telefonisch benachrichtigt, dass ein Auto auf ihn warte. Bei dem Wagen handelte es sich um einen Panda, der auf derSeite leicht eingedellt war, ein Auto, wie man viele auf den Straßen sieht. Er setzte sich auf den Beifahrersitz. Der Fahrer des Autos war ein schlecht gekleideter Mann um die sechzig, der ihn zwar grüßte, sich aber nicht vorstellte.
»Wohin fahren wir?«
»Man hat mir gesagt, dass ich Sie zu einer Villa kurz vor Sferracavallo bringen soll.«
Damit war die Unterhaltung zu Ende.
Er wusste nicht, dass sein Schwiegervater … Wie seltsam, warum hatte er ihn, den Senator, jetzt Schwiegervater genannt? Auf dem Papier war er es zwar noch, gewiss. Komischerweise hatte er ihn jedoch nie so genannt, auch nicht, als er noch mit Giulia zusammen war. Jedenfalls wusste er nicht, dass Senator Stella eine Villa in der Nähe von Sferracavallo besaß.
Und anders als diese modernen Villen mit schmalen Alleen, Hecken, Pavillons und Swimmingpool war diese eher ein abseits gelegenes, altehrwürdiges Landhaus aus dem 19. Jahrhundert, wenn auch gut erhalten. Dort konnte man empfangen, wen man wollte, ohne dass irgendwelche Außenstehenden etwas davon mitbekamen.
Der Chauffeur fuhr in den Innenhof und blieb vor der geschlossenen Haustür stehen.
»Wir sind da.«
Michele stieg aus, und das Auto fuhr wieder davon.
Kein Hund bellte, keine Menschenseele war zu sehen. Der Innenhof lag verlassen da.
Einen Augenblick lang befürchtete er, er müsse dort – für den Fall, dass Senator Stella etwas dazwischengekommen war – wer weiß wie lange im Freien herumstehen, denn die Haustür hatte keinen Türklopfer, und eine elektrische Klingel war auch nirgends zu sehen. Dann öffnete sich unversehens die Tür und Totò Basurto erschien.
»Entschuldige, wenn es ein bisschen gedauert hat, Michè, aber das Haus ist so groß. Wir haben dich ankommen sehen. Komm mit, der Senatore erwartet dich.«
Er folgte ihm. Sie stiegen zur ersten Etage hoch, Totò klopfte an eine Tür, öffnete sie und steckte den Kopf hinein.
»Michele ist da.«
Und gleich darauf, an ihn gewandt:
»Du kannst rein.«
Michele betrat den Raum und Totò schloss die Tür hinter ihm.
Es sah aus wie im Arbeitszimmer eines alten Notars. Gaetano Stella, der hinter einem riesigen Schreibtisch saß, der eine gewisse Ähnlichkeit
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