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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Amico gefunden habt, werdet Ihr darin auch eine Bestätigung meiner Worte und der meines Herrn finden. Bitte, vertraut mir.«
    »Es fällt mir schwer«, versetzte Stella, der das verzweifelte Mondgesicht vor ihrer Nase mit einem Mal Leid tat. »Warum hat der Bund gerade mich ausgesucht?«
    »Fragt mich nicht nach den Gründen dieser Wahl! Ich bin nur ein Diener. Aber so viel ist mir bekannt: In jedem Jahrtausend wählt der Bund des Lindwurmes einen Menschen mit einer besonderen Gabe aus. Es soll Helden gegeben haben, die fliegen konnten. Andere beherrschten gar die Sprache der Tiere.« Der Jüngling lachte bei seiner letzten Bemerkung, als sei diese Vorstellung nun doch allzu absurd.
    Stella warf ihm einen verächtlichen Blick zu, dann wanderten ihre Augen zu dem schneeweißen Iltis hinüber, der wie ausgestopft auf dem Tellerregal hockte und die Unterhaltung verfolgte (der Bursche hatte Sesa Mina offenbar gar nicht bemerkt).
    »Also gut«, sagte Stella unvermittelt.
    Der Bote schien an ihrem plötzlichen Sinneswandel zu zweifeln. »Ihr wollt die Reise nach Amico wirklich unternehmen?«
    »Ja doch! Warum fragt Ihr?«
    »Ich… äh…«
    »Schon gut.« Stella wurde mit einem Mal sehr geschäftig und schob den Burschen vor sich her. »Jetzt schert Euch hinaus. Ihr habt Eure Botschaft überbracht und ich werde den Auftrag annehmen. Richtet das Eurem Herrn aus.«
    Ehe er es sich versah, fand sich der blau-grüne Jüngling auf der Gasse wieder und blickte auf die verschlossene Pforte. Das Knallen der massiven Holztür gellte ihm noch lange in den Ohren.

 
    DAS KAGEE -FRAGMENT
     
     
     
    Die Nacht war kurz gewesen. Stella streckte ihre Glieder und sah aus dem Fenster im Dachgeschoss. Die nahende Morgendämmerung konnte man bestenfalls erahnen. Sie schwang die Beine aus dem Bett, wusch sich, nicht allzu gründlich, in der Schüssel, die auf einem kleinen Hocker stand, und zog sich an.
    Die Kleidung für ihre Reise hatte sie schon am Vorabend hergerichtet, ebenso wie alles andere, was sie mitnehmen wollte. Obwohl das Packen des Ledersacks viel Zeit in Anspruch genommen hatte, war er nicht einmal voll. Eine Bluse zum Wechseln, einen Mantel für den Regen, einige wenige andere Wäschestücke, etwas Proviant für sich und Sesa Mina und Kleinigkeiten wie Messer, Feuerstein und Stahl, Nadel und Faden – mehr brachte sie nicht zusammen.
    Nachdenklich blickte sie auf den Sack mit den zwei Riemen, an denen man ihn auf den Rücken nehmen konnte. Auch jetzt am Morgen wollte ihr nichts mehr einfallen, was es wert gewesen wäre, sich damit zu belasten.
    »Willst du Wurzeln schlagen?«, fragte das Frettchen mit einem Mal.
    »Was?… Ach«, Stella lachte, »ich habe nur überlegt, was noch fehlt. Irgendwas vergesse ich immer.«
    »Wie wär’s denn mit Schuhen?«
    Stella sah an sich herab, wie sie es tags zuvor auf dem Markt getan hatte. Nun trug sie derbe Reisetracht: über dem ungefärbten Leinenhemd eine hirschlederne Weste, Beinkleider aus demselben Material und – Wollsocken.
    »So kann ich wirklich nicht gehen«, pflichtete sie ihrem zahmen Iltis bei. Sie bückte sich und zog unter dem Bett ein Paar braune Stiefel mit kurzem, aber dafür weitem Schaft hervor. Sie waren alt, doch in gutem Zustand. Als sie ihre Füße in das Schuhwerk gesteckt hatte, sagte sie: »Jetzt kann’s wohl losgehen.«
    »Auf was wartest du dann noch?«, fragte Sesa Mina ungeduldig.
    Das Frettchen suchte sich seinen Platz auf Stellas Schulter, diese blickte sich noch einmal in der Stube um, dann verließen beide das Haus.
    Stella marschierte mit weiten Schritten durch die Gasse, die – ja, wie lange eigentlich? – ihre Heimat gewesen war. Ihre anderen Iltisse hatte sie am Abend zuvor der Nachbarin anvertraut, der Wäscherin Wilhelmine. Sie solle zusehen, ob einige ihrer Kunden nicht einen Iltis erwerben wollten, hatte Stella gesagt, denn es sei ungewiss, wann sie von ihrer Reise zurückkehre. Vielleicht niemals, dachte Stella, aber das hatte sie Wilhelmine nicht verraten.
    Die Straßen von Enesa waren um diese Zeit noch wenig bevölkert. Selbst als sie den Markt überquerte, entdeckte sie dort erst zwei Händler beim Aufbau ihrer Stände.
    Von dem weiten Platz aus konnte man viele der riesigen Bauwerke Enesas sehen. Sie überragten die Fachwerkhäuser wie Riesen ein Volk von Zwergen. Doch die Stadt hatte weit mehr zu bieten als nur diese Gebäude. Weil die Landschaft vor den Mauern nur aus öder Wüste bestand, musste alles zum Leben Notwendige,

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