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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Fräulein«, grüßte der Fremde. »Ich komme in dringender Angelegenheit. Darf ich eintreten?« Schon machte er Anstalten, seiner Frage die Tat folgen zu lassen.
    »Nein«, fuhr ihm Stella in die Parade. »Wie komme ich denn dazu, jeden schwitzenden Jüngling in mein Haus zu bitten?«
    Der Bote fuhr verstört zurück. »Aber das, was ich zu sagen habe, ist von großer Bedeutung. Außerdem sollte es nicht vor jedermanns Ohren ausgerufen werden.«
    Stellas Neugierde war geweckt. Vielleicht ein neuer Versuch des Statthalters, ihr Sesa Mina abzujagen? »Wer schickt Euch denn eigentlich?«
    Der beleibte Jüngling beugte sich vor und flüsterte hinter vorgehaltener Hand: »Ich komme im Auftrag des Lindwurmbundes.«
    »Lindwurmbund? Nie gehört«, versetzte Stella, ohne allerdings ihre Stimme nur im Geringsten zu senken.
    »Pscht!«, machte der Bote erschocken und blickte ängstlich die Gasse hinauf und hinab. Dann beugte er sich wieder vor: »Ich habe hier«, er klopfte auf seine Brust, »ein Schreiben an Euch. Es enthält alles, was Ihr wissen müsst.«
    »Dann zeigt mir doch einfach dieses Schreiben«, sagte Stella ohne allzu große Herzlichkeit.
    Widerstrebend zog der Jüngling ein gerolltes Pergament aus seinem Wams und reichte es Stella. Die zog ihm die geheimnisvolle Botschaft aus der Hand, und ehe er sich’s noch versah, hatte sie ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen.
    Stella begab sich zu dem kleinen Fenster ihrer Küche, dem einzigen Platz, an dem es hell genug zum Lesen war. Als der Geck verschwommen hinter dem Fenster auftauchte, schüttelte sie nur verständnislos den Kopf. Das Gesicht des Burschen schob sich so nahe an die Butzenscheiben heran, dass alsbald seine Nase das schlierige Glas berührte. Gleichwohl würde er von ihr nicht mehr als einen Schemen sehen; Stella gönnte sich ein schadenfrohes Grinsen.
    Als sie das rote Siegel des Pergaments näher betrachtete, wich die Heiterkeit. In das Wachs war ein vierbeiniger Lindwurm mit Fledermausflügeln geprägt.
    »Der Lindwurmbund«, murmelte sie. Was für ein geheimnisvoller Zirkel mochte das sein?
    Da ihr das bloße Betrachten des Siegels kaum Antwort auf diese Frage liefern konnte, erbrach sie es ohne viel Federlesens und entrollte den Brief. Ihre Augen wurden groß, als sie die einleitenden Worte las. Der Schreiber wandte sich ja direkt an sie!
     
    Hochverehrtes Fräulein Stella!
    Wie wir es nicht anders erwarteten, habt Ihr Eure Prüfung aufs Trefflichste bestanden. Ja, wir dürfen Euch versichern, Ihr habt unsere kühnsten Erwartungen sogar übertroffen. Wir beglückwünschen Euch dazu!
    Leider müssen wir die Bitte an Euch richten, von jeder Feierlichkeit abzusehen, die Eurer Leistung mit Sicherheit gebührte. Die Zeit drängt! Unser Reich schwebt in großer Gefahr. Illusion braucht Euch!
    Deshalb richten wir das Ansinnen an Euch – nein, nennt es vielmehr ein Flehen! –, nicht länger als nötig zu zaudern und umgehend nach Amico aufzubrechen. Ihr müsst unbedingt das »Kagee« finden! Leider wissen wir weder, wo Ihr dieses Schattenwort in der Stadt aufspüren könnt, noch können wir Euch empfehlen, Euer Vertrauen einem der Einwohner Amicos zu schenken, um Euch auf diese Weise Hilfe zu verschaffen. Im Gegenteil raten wir Euch, die Lippen zu versiegeln, was den Zweck der Reise anbelangt, vielleicht sogar heimlich den betreffenden Ort zu betreten. Ihr seid also auf Euch gestellt, Stella.
    Selbst wir besitzen nur wenig von dem Wissen, das uns vor dem Kommen des Wurmes bewahren kann. Nur das, was wir Euch bereits anvertraut haben: Sucht nach dem Kagee. Das Schattenwort – es mag ein Rätsel sein oder nur wenige Buchstaben – wird Euch den Weg zum geheimen Nest des Lindwurmes weisen. Dieses müsst Ihr aufspüren und zuletzt das unheilvolle Getier unschädlich machen. Nur so könnt Ihr Illusion retten. Denn erwacht erst der Wurm zu seiner vollen Kraft, wird er unser Reich in eine Wüstenei verwandeln, in der niemand mehr zu leben wünscht, es womöglich nicht einmal mehr vermag.
    Nehmt unsere Glücks- und Segenswünsche mit Euch.
    X vom Bund des Lindwurmes
     
    Stellas Brust hob und senkte sich in schnellem Wechsel. Die Worte aus dem Brief hatten sie in höchste Erregung versetzt. Was für eine Prüfung hatte sie bestanden? Was sollte dieser Unsinn mit dem Kagee ? Und was war der Bund des Lindwurmes? Sie schaute von ihrem Pergament auf und entdeckte die platt gedrückte Nase des blau-grünen Jünglings an der Fensterscheibe. Entschlossen fuhr sie

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