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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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dürft jetzt ablegen und Euch auf den Weg machen.«
    Endlich begriff Stella. Eilig klappte sie die Luke ihrer Patrone zu und steuerte das Gefährt allein durch Gedankenkraft dem großen Wassertor entgegen.
    Der Kontrolleur hatte den Torwächtern bereits mit erhobenem Arm einen Wink gegeben. Daraufhin setzten sie in den zwei eckigen Türmen beiderseits der Durchfahrt eine verwirrende Mechanik aus großen Zahnrädern in Gang. Während Stellas Patrone langsam auf das Tor in der brennenden Mauer zuschaukelte, konnte sie sehen, wie hinter den Schießscharten der wuchtigen Türme das überdimensionale Räderwerk seinen Dienst verrichtete. Die beiden Eisentore der Feuermauer schwangen langsam auf. Dadurch öffnete sich eine bogenförmige Passage, die vom Wasserspiegel aus ungefähr fünfundzwanzig Fuß hoch reichte. Weil die ganze Toranlage innerhalb der Stadt und außen noch über die Stadtmauer hinausragte, sah es beinahe so aus, als würde man sich einem Tunnel nähern.
    »Bist du noch da?«, rief Stella nach hinten.
    Sogleich kam Sesa Mina nach vorne getippelt. Sie sprang auf Stellas Schoß und ringelte sich dort zusammen. »Das war vielleicht ein Blechkopf. Ich dachte schon, deine Patrone würde im Hafenbecken Wurzeln treiben.«
    »Die Grenzer von Enesa sollen mit die strengsten sein«, antwortete Stella. Ihre Hände schlossen sich schützend um das Frettchen. »Und jetzt krieg keinen Schreck. Gleich wird hier alles drunter und drüber gehen.«
    »Wie meinst du das?«
    »Bist du noch nie in einer Patrone gereist?«
    »Nein. Du etwa?«
    Stella zögerte. »Mir ist so, aber ehrlich gesagt, weiß ich es nicht genau. Mein Gefühl sagt mir jedenfalls…«
    Zu mehr kam Stella nicht. Noch als sie sich unter dem geöffneten Hafentor befanden, ging ein fürchterlicher Ruck durch die Patrone. Dann jagte sie wie von einer Kanone geschossen davon. Stella wurde in den Sitz gepresst und das Frettchen an ihren Bauch.
    »Uuiii! Das macht Spaß!«, quietschte Sesa Mina ausgelassen.
    »Für einen Iltis hast du ziemlich ausgefallene Leidenschaften«, gab Stella gepresst zurück.
    Nun glaubte sie tatsächlich, ihr würde Hören und Sehen vergehen. Die Patrone wirbelte ein paarmal um die eigene Achse. Gurgelnde Blasen wechselten mit Streifen blauen Himmels. Schließlich beruhigte sich das wild gewordene Gefährt wieder und Stella konnte zu beiden Seiten der Wasserstraße karge Uferböschungen vorüberfliegen sehen. Dahinter befanden sich Berge, sonnenbeschienene, lebensfeindliche Felsriesen. Stella schenkte dieser Wüstenlandschaft wenig Aufmerksamkeit. Selbst wenn die Patrone nicht mit so atemberaubender Geschwindigkeit dahingeschossen wäre, hätte sie dort draußen weder Mensch noch Tier, weder Pflanze noch irgendetwas anderes entdecken können, das lebendig war.
    Die Flüsse Illusions waren tatsächlich die einzige Möglichkeit, um von einem Ort zum nächsten zu gelangen. Sollte ein Bewohner sich weiter als einen Bogenschuss von der Mauer seiner Stadt entfernen, war er in der Wüste unweigerlich dem Tode ausgeliefert. Es hieß, die Sonne würde einen solchen Unglücklichen innerhalb kürzester Zeit verdampfen. Dasselbe Schicksal erwartete jene, die mit ihrer Patrone von der Wasserstraße kamen. Zum Glück galt das als beinahe ausgeschlossen. Selbst bei einem Zusammenstoß zweier Patronen drohte den Insassen gewöhnlich nur eine Rückführung in ihre Ursprungsstadt, von wo aus sie die Reise erneut antreten mussten.
    Der gesamte Verkehr auf dem weit verzweigten Netz aus Flüssen und Kanälen, das ganz Illusion überzog, basierte auf einem geheimnisvollen Phänomen, das niemand erklären konnte und sich doch jeder Reisende zunutze machte: den Strömungen.
    Natürlich floss auch in Illusion das Wasser gewöhnlich eine Steigung hinunter oder verharrte auf ebenem Grund. Bei den Wasserstraßen verhielt sich das jedoch ein wenig anders. Sobald sich der Name einer Zielstadt im Navigationsröhrchen der Patrone aufgelöst hatte, wurden winzige Mengen der blauen Flüssigkeit in den Kanal abgegeben. Nun genügte schon allein der Gedanke des Steuermanns (oder der Steuerfrau), um das Wasser unter der Patrone in Bewegung zu bringen. Wie auf einer starken Strömung ritt das Gefährt dann in die eine Richtung, während ein anderes Fahrzeug auf derselben Wasserstraße gleichzeitig einem entgegengesetzten Ziel zustreben konnte.
    Stella kam auf ihrem Weg nach Amico durch mehrere Städte. Das war unvermeidbar, weil sich die Wasserstraßen nie – aber auch

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