Das Netz der Schattenspiele
dadurch noch dünner als gewöhnlich.
»Ich dachte schon, du willst mich hier verrotten lassen«, rief Stella, in ihrer Aufregung etwas heftiger als beabsichtigt.
»War nicht so leicht, einen Zugang zu finden«, antwortete Sesa Mina gekränkt. »Sieht so aus, als hätten die hier erst kürzlich alle Ritzen zugekittet.«
»Und?«
»Sesa Mina findet immer einen Weg!«
Stella atmete erleichtert auf. »Nun spann mich nicht auf die Folter. Wie kommen wir rein in dieses Provinznest?«
Das Frettchen sprang auf die Patrone, kletterte jedoch nicht hinein. Stella stieg ein fauliger Geruch in die Nase.
»Puh, du alter Stinkmarder, hast du in Gülle gebadet?«
»Nun hab dich nicht so! Du wirst gleich sehen, weshalb ich das machen musste.« Sesa Mina schien Stellas etwas barsche Begrüßung noch nicht ganz überwunden zu haben. Mit aufreizender Langsamkeit stolzierte sie nun auf dem Bug der Patrone nach vorn und nahm dort mit vorgereckten Schnurrhaaren die Haltung einer Galionsfigur ein. Gebieterisch verkündete sie dann: »Da entlang, Steuermann.«
Stellas Gedanken erzeugten eine schwache Strömung unter der Patrone und sogleich begann sich das gläserne Gefährt mit offener Luke langsam in Bewegung zu setzen. Von der einstmals kräftigen Farbe in dem Navigationsröhrchen war inzwischen nur noch ein Hauch von Blau zurückgeblieben. Sobald sie sich erst in der Stadt befanden, würde die Flüssigkeit wieder so klar wie reines Wasser sein.
Einige Minuten lang glitt das Glasboot unter der Mauer entlang. Büsche boten hier und da Deckung. Sie waren die letzten Vorposten des Lebens außerhalb der Stadt. Nur wenige Ellen weiter hätte sie die Sonnenglut wie Zunder verbrannt.
»Dort ist es«, rief Sesa Mina mit einem Mal.
Stella reckte den Hals, aber sie konnte nichts sehen. Dafür kroch in ihre Nase ein unangenehmer Duft, gerade wie jener, der aus Sesa Minas nassem Fell aufstieg. Sie musste erst ihren Ekel hinunterschlucken, bevor sie wieder etwas sagen konnte.
»Wo denn?«
»Da, unter dem Busch.«
Nun glaubte auch Stella einen schwarzen Halbkreis auszumachen, nur unmerklich dunkler als die Schatten unter dem Astwerk.
»Du musst dich vorsehen. Der Busch hat dolchartige Dornen«, warnte Sesa Mina ihre Herrin und hüpfte, selbst Schutz suchend, durch die Lukenöffnung ins Patronenboot.
Schnell ließ Stella den Ausstieg zuklappen, schon allein deshalb, weil der Gestank inzwischen so gut wie unerträglich geworden war. Langsam trieb die Patrone weiter auf den Busch zu. Als die ersten Zweige an der glatten Außenhaut entlang- und über die metallenen Verstärkungsbänder hinwegschabten, ertönte ein durch Mark und Bein gehendes Quietschen. Die Patrone jedoch bekam nicht den geringsten Kratzer ab, sie war für weitaus derbere Beanspruchungen konstruiert.
Dann wurde es dunkel um Stella und ihre schneeweiße Lotsin.
»Der Abwasserkanal tritt in der Stadt wieder zutage«, kommentierte Sesa Mina die nachtschwarze Tunnelfahrt.
»Ein Abfluss! Ach deshalb dieser Gestank. Bist du sicher, dass der Ausgang auch nicht bewacht wird?«
Ein helles Kichern drang durch die Dunkelheit. »Wahrscheinlich hält man es für unmöglich, dass jemand in diese Brühe steigt. Ich jedenfalls konnte auf der anderen Seite niemanden entdecken.«
Stella misstraute allem, was ihr fremd war, menschliche Wesen eingeschlossen. Deshalb fühlte sie sich trotz der Versicherung Sesa Minas alles andere als wohl, als die halbkreisförmige Lichtöffnung am jenseitigen Ende immer näher kam. Unbearbeitete Steine formten hier einen Bogen, weder Gitterstäbe noch Wachposten waren zu entdecken.
»Siehst du. Keiner da, der sich für uns interessiert«, verkündete das Frettchen, nachdem die Patrone ins Freie geglitten war – Stella hatte diesen Augenblick mit angehaltenem Atem erlebt. »In der Nähe gibt es ein paar Lagerhäuser«, fügte Sesa Mina hinzu. »Um diese Zeit ist dort nicht viel los, ein ideales Plätzchen für deine Patrone. Niemand wird sie beachten, während wir uns in der Stadt aufhalten.«
»Anscheinend hast du alles schon gründlich ausgekundschaftet.«
»Du warst vorhin so stinkig. Hättest mir sowieso nicht zugehört.«
»Wer war hier stinkig?«, antwortete Stella und musste lachen. »Du hast schließlich gerochen wie ein Skunk.«
Auch Sesa Mina fand an diesem Thema Freude. Der Schöpfer hatte die Iltisse nämlich mit einer besonderen Drüse gesegnet, deren übel riechendes Sekret auch den hartgesottensten Feind in die Flucht schlagen
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