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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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schenkte den bärtigen Gesichtern ein bezauberndes Lächeln und zwängte sich dann, so schnell es ging, in die besagte Richtung.
    Glücklicherweise erwies sich der Wink des Unbekannten als zutreffend. Nachdem Stella sich an vielen Kerlen mit wild wuchernden Bärten vorbeigeschoben und dabei einiges von deren Staub abbekommen hatte, lichtete sich das Gedränge allmählich. Als sie den vom Auskunftsantragszimmer aus am weitesten entfernten Punkt erreicht hatte, war der Flur so gut wie leer. Endlich konnte sie verschnaufen und ihre Situation noch einmal überdenken.
    Hatte es wirklich einen Sinn, sich hier anzustellen? Würde sie eine Auskunft bekommen und wenn ja, wann? Stella erkundigte sich bei einem schmalschultrigen Katasterbeamten, der gerade an ihr vorbei zu seinem heimeligen Büro eilen wollte, ob man irgendwelche Papiere benötige, um in den Genuss einer Auskunft zu gelangen. Der blasse junge Mann zeigte sich von der Störung wenig erbaut, antwortete dann aber doch, es sei nur der übliche Identitätsnachweis erforderlich. Jeder Antrag auf Erteilung einer Auskunft werde im Register mit den Anfrageneinträgen vermerkt. Sonst sei nichts erforderlich. Nach einer amtlich geregelten Wartezeit werde der nun aktenkundige Antragsteller »beauskunftet«. Stella bedankte sich und ließ den ungeduldigen Beamten wieder frei.
    Das hätte sie sich eigentlich denken können! Warum sollten die Ämter in Amico anders arbeiten als in Enesa? Jede Amtshandlung wurde protokolliert. Kein Einwohner konnte sich von der Stelle bewegen, ohne dass es einen amtlichen Eintrag darüber gab. Wenn sie sich erst als die Iltishändlerin Stella aus Enesa zu erkennen gab, dann war ihr Auftrag die längste Zeit geheim gewesen. Sie wollte sich schon wieder verzweifelt zur Treppe nach unten aufmachen, als sie plötzlich eine leise Stimme vernahm.
    »Pst, pst!«
    Stella stutzte. Sie sah sich um, konnte jedoch nur einige bärtige Gesellen sehen, die ihr mehr oder weniger verstohlene Blicke zuwarfen.
    »Pst, pst!«
    Da! Wieder dieses Zischen, zu dem sich keiner der Umstehenden bekennen wollte.
    »Stella, hier bin ich«, wisperte es noch einmal.
    Endlich entdeckte Stella die heimliche Ruferin. Es war Sesa Mina. Das Frettchen saß im Schatten eines breiten Türsturzes ganz in der Nähe.
    Langsam schlendernd, wie um ihren vom langen Warten müden Beinen etwas Bewegung zu verschaffen, näherte sich Stella der Tür. Als sie sich lässig gegen den hölzernen, oben in einem Bogen endenden Rahmen lehnte und Sesa Mina ihren Arm hinstreckte, machte das Frettchen einen Satz und saß im nächsten Moment auf ihrer Schulter.
    »Ich habe etwas gefunden, was dich interessieren könnte«, flüsterte die Marderdame in Stellas Ohr.
    »Etwa das Kagee ?«, gab diese ebenso leise zurück.
    Sesa Mina seufzte. »Wann legst du endlich einmal deine Ungeduld ab? Ich rede von einem Ort, der sich vorzüglich dazu eignet, geheime Botschaften zu verstecken.«
    Stella hob interessiert die rechte Augenbraue. »Spann mich nicht auf die Folter, Mina!«
    »Es gibt hier einen Keller, in dem alte Bücher und Schriftrollen vor sich hinmodern. Komm, ich zeig ihn dir. Du musst nur die Tür öffnen, vor der wir gerade stehen.«
    Stella blickte verwundert auf die schwere Holztür. »Wie bist du denn da durchgekommen?«
    »Bin ich gar nicht«, kicherte das Frettchen leise. »Als ich vor der Tür stand und feststellte, dass sie verschlossen ist, habe ich mir einen anderen Weg gesucht. Und nun los, bevor diese lüsternen Kerle wieder große Augen machen.«
    So kam es, dass sich zwischen zwei verstohlenen Blicken des nächststehenden Minenarbeiters das hübsche blonde Mädchen jäh in Luft auflöste.
    »Puh, das ist aber finster hier!« Stella tastete sich vorsichtig die enge Wendeltreppe hinab, auf die sie hinter der besagten Tür am Ende eines schmalen Ganges gestoßen war. »Muss wohl so eine Art geheimer Fluchtweg sein, um sich vor allzu hartnäckigen Antragstellern in Sicherheit zu bringen.«
    »Die Treppe befindet sich mitten in der dicken Mauer des Turmes«, erklärte Sesa Mina. »Über sie kannst du alle Stockwerke erreichen, einschließlich desjenigen, das man auf der Haupttreppe vergeblich sucht.«
    Auf Höhe der Eingangshalle befand sich, wie in den übrigen Geschossen auch, eine massive Holztür. Stella sah einen Lichtschimmer durch ein Astloch fallen. Vielleicht war es absichtlich durchgestoßen worden. Jedenfalls befand es sich – wie vorteilhaft! – genau in Höhe ihrer Augen, wie

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