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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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einem Wälzer, der just an der Stelle aufgeschlagen lag, an dem sich ein einzelnes zerrissenes Blatt befand, von dem kaum mehr als die Hälfte übrig geblieben war.
    Sofort bemerkte Stella, dass dieser Bogen nicht zu dem Buch gehörte. Die strenge Tabellenform der Eintragungen dort stand in krassem Gegensatz zu dem massiven Block aus Buchstaben, der das beschädigte Blatt bedeckte. Vorsichtig nahm sie das Fragment in die Hand, um es eingehender zu begutachten.
    »Aber das ist ja schon wieder«, Stella hatte die Erkenntnis wie der Schlag getroffen, »nichts als Unsinn!«
    »Du bist immer viel zu schnell«, sagte Sesa Mina tadelnd. »Sieh noch einmal genau hin.«
    Stella tat ihr den Gefallen. Sie ließ ihre Augen über die verbliebenen Zeilen wandern, was sich als gar nicht so leicht erwies, weil es in der scheinbar widersinnigen Anhäufung von Buchstaben keine Zwischenräume gab. Doch plötzlich blieb ihr Blick hängen.
    »Wie hast du das bemerkt?« Stella konnte es nicht fassen. Mitten aus den Zeichenbändern, die ihr wie die geheimnisvolle Runenschrift einer längst ausgestorbenen Sprache erschienen, ragte ein einzelnes Wort heraus. Jetzt, wo sie es entdeckt hatte, sprang es ihr geradezu in die Augen. Aber wie nur konnte das Frettchen es gefunden haben?
    »Sagte ich doch bereits«, antwortete Sesa Mina. Die Befriedigung über den Erfolg war nicht zu überhören. »Nicht wahr, das ist es, wonach wir gesucht haben?«
    Stella nickte und las noch einmal die wohlvertrauten Buchstaben: Kagee.
    Sie war aufgeregt und verärgert zugleich. Zwar hatte sie endlich die erste Spur gefunden, aber jetzt war diese völlig wertlos. Was nutzte ihr das Schattenwort, wenn der Text, auf den es hinwies, unleserlich und obendrein auch noch unvollständig war? Verärgert knüllte sie den Fetzen zusammen.
    In diesem Moment hörte sie ein Geräusch. Stellas Kopf fuhr hoch. Schnell blies sie die Öllampe aus und lauschte dann. Da! Wieder der gleiche Laut: ein leises Klicken, gefolgt von einem kurzen Schaben. In Stellas Nacken stellten sich die Haare auf. Sie blickte zu Sesa Mina hin und hielt den ausgestreckten Zeigefinger vor die Lippen: Jetzt nur keinen Laut, sonst sind wir verloren.
    Auch das Frettchen hatte das Geräusch vernommen. Es blieb bewegungslos sitzen, die Vorderpfoten noch auf dem Folianten, der das geheimnisvolle Manuskript geborgen hatte, und schnupperte in Richtung Tür.
    Noch ein drittes Mal hörte Stella das helle Klacken und anschließende Kratzen, das wie Metall auf hartem Stein klang. Ein Schauer lief ihr von den Haarwurzeln den Rücken hinab. Was war das nur? Hatte die Dame Wunderlich etwa doch Sesa Minas Gelächter gehört? Wenn ja, dann hatte sie wohl einen Stock mit Eisenspitze dabei, mit dem sie sich hier unten vorwärtstastete und dieses seltsame Geräusch machte. Aber warum nur?
    Instinktiv wusste Stella, dass es nicht die strenge Dame aus dem Pförtnerverschlag sein konnte, die hier durch die Dunkelheit strich. Die hätte sich ohne Licht gewiss nicht in dieses dämmerige Chaos aus Kammern, Gängen und eingestürzten Regalen gewagt. Nein, es musste jemand anderer da draußen durch die Schatten streifen, jemand, der genauso wie Stella unentdeckt bleiben wollte. Diese Erkenntnis jagte ihr einen neuen Schauer über den Rücken. Ängstlich blickte sie zur Tür.
    Wie bereits erwähnt, war es in dem unterirdischen Archiv nicht völlig dunkel. Aus vereinzelten Deckenöffnungen sickerte hier und da etwas Tageslicht herab. Diesem Umstand verdankte Stella schließlich die Entdeckung.
    Ein herzförmiger Gegenstand – so schien es – tauchte vor der offen stehenden Kabinettstür auf und verschwand sogleich wieder. Stellas Herz setzte für einen Moment aus. Obwohl diese unheimliche Erscheinung nur kurz gewesen war, hatte sie doch in ihr eine Erinnerung wachgerufen. Stella kannte den Umriss, der einem Spielkartenzeichen so ähnlich sah, dieses Pik mit seinem unverhältnismäßig langen »Stiel«…
    »Draggy, bleib stehen!«, rief sie, ohne recht zu wissen, wen sie eigentlich meinte. »Mina, komm!«, forderte sie dann ihr Frettchen auf und ließ den nun nutzlosen zerknüllten Manuskriptfetzen fallen und sprang dem Drachenschwanz hinterher.
    Ja, es war ein Drache, den sie da gesehen hatte, ein Lindwurm, aber… Warum konnte sie sich einfach nicht richtig erinnern?
    Jedenfalls brauchte sie weder Schattenworte noch Rätselspiele, wenn sie das Schuppentier gleich hier stellen konnte. Stella ließ ihren Blick durch das Zwielicht

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