Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
Stella nach leisem Nähertreten feststellte. In fast vierzig Schritten Entfernung entdeckte sie die Behausung der wunderlichen Dame. Wie ein Käse schimmerte deren Gesicht, leicht zur Seite geneigt, durch das weite Rund der Halle. Von dem Andrang im dritten Stock war hier nichts zu bemerken. Kein Besucher streifte durch das Revier der Pförtnerdame, obwohl die Gelegenheit dazu nicht besser hätte sein können – denn selbige schlief.
    Sesa Mina sprang wieder von Stellas Schulter. »Jetzt komm endlich. Das Kagee ist noch nicht gefunden. Du willst doch bestimmt nicht die Nacht in diesem Turm verbringen, oder?«
    Dazu hatte Stella wirklich keine Lust. Sie folgte dem Frettchen weiter in die dunkle Tiefe.
    Zum Glück, und durchaus auch zu Stellas Beruhigung, war es im Keller des Katasteramtes nicht völlig finster. Bald hatte sie auch die Quellen des zarten Lichteinfalls entdeckt. In größeren Abständen war die Decke des Untergeschosses durchbrochen, von oben konnte Helligkeit herabdringen. Allerdings nur wenig, vermutlich reichten die Lichtschlitze in die Anbauten hinauf, die Stella neben dem Turm aufgefallen waren. Da entdeckte sie ein Öllämpchen, das sie, ohne lange nachzudenken, anzündete. Das gelbe Licht der kleinen Flamme bescherte ihr jedoch zunächst mehr Verwirrung, als dass es für Klarheit sorgte. Im Keller unter dem Katasteramt herrschte nämlich ein heilloses Durcheinander!
    Zahllose Räume, alle angefüllt mit Büchern, Kladden, Folianten, Verzeichnissen – gebunden und gerollt –, Plänen – geheftet und auf Holz geleimt – und nicht enden wollenden Regalwänden voller Dokumente jedweder Form und Größe, waren wie zufällig im Fundament des Turmes verbaut. Keine andere Formulierung beschrieb das Chaos besser. Anders als in den Stockwerken oben fehlte hier der kreisförmig verlaufende Gang und die davon außen wie Strahlen, innen wie Speichen abgehenden Zimmer. Vielmehr schien sich der Baumeister dieses Turmes seinen Traum eines steinernen Irrgartens erfüllt zu haben.
    Um die Orientierung noch zu erschweren, waren nicht wenige der Regalböden unter ihrer Last zusammengebrochen und hatten das Schriftgut in die Gänge ergossen. Stella stieg eine Zeit lang über aufgeblätterte Bücher und verstaubte Manuskripte, bis sie schließlich die Arme ausbreitete und an Sesa Mina die verzweifelte Frage richtete: »Wie sollen wir hier irgendetwas finden?«
    »Ich würde da anfangen«, antwortete das Frettchen auf dem Fuße und reckte die Nase zu einem Raum hin, der durch eine vergitterte Tür gesichert war. Neben dem gemauerten Türbogen hing ein verstaubtes Schild.
    Stella kletterte über weitere Stapel von Papier und Pergament und erreichte wohlbehalten das von Sesa Mina favorisierte Kabinett. Die lange Tafel neben der Tür war von einer dicken Staubschicht bedeckt, aber sanfte Erhebungen ließen einen Schriftzug erahnen. Stella befreite, die Öllampe dicht vor ihr Arbeitsgebiet haltend, die erhabenen Lettern mit den Fingern von ihrem grauen Belag. Die sichtbar werdende Inschrift allerdings gab ihr Rätsel auf.
     
    EGE INSTU GEFA ESCHL SENE LAIMS
     
    Es verstrich eine kleine Ewigkeit und das Kellerarchiv des Katasteramtes versank wieder in gewohnter Stille. Stella versuchte leise lesend den Messingbuchstaben auf der Tafel Sinn zu geben. Wieder und wieder. Aber es wollte ihr einfach nicht gelingen.
    »Bist du sicher, dass wir da drinnen etwas finden?«, fragte sie nach langem vergeblichem Grübeln.
    »Ich würde fast mein Fell darauf verwetten.«
    »Aber ich meine, ›Ege instu gefa eschl sene laims‹, das ist entweder völliger Schwachsinn oder eine geheime Amtssprache, deren Bedeutung ich niemals verstehen werde. Was soll sich da drin schon befinden?«
    Jetzt begann Sesa Mina zu lachen, und zwar so laut und lange, dass Stella nur hoffte, die Dame Wunderlich im Stockwerk über ihnen ruhte weiterhin fest in den Armen des Beamtenschlafs. Stella war angesichts dieses ihr doch ziemlich unangemessen erscheinenden Heiterkeitsausbruches ratlos.
    Erbost fragte sie: »Kannst du mir vielleicht sagen, was du so lustig findest?«
    Sesa Mina lag auf dem Rücken und wälzte sich vor Lachen im Staub, bis sie es schließlich herausbrachte: »Deine geheime Botschaft ist gar nicht so rätselhaft. Es fehlen doch nur ein paar von den Messingbuchstaben. Wenn du sie dir wieder hindenkst, dann sollte dir der wahre Sinn des Schildes nicht länger verborgen bleiben.«
    Stella starrte noch einmal auf die Tafel. Nun, unter

Weitere Kostenlose Bücher