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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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seine pikförmige Schwanzspitze entschwinden. Und dann – das Blut stockte ihr in den Adern – hörte sie ein Lachen. Der Laut ließ ihre Glieder erstarren. Das Lachen eines Kindes, nein, nicht eines Kindes, sondern der Klang vieler Kehlen. Dann war es still.
     
     
    Es dauerte eine geraume Zeit, bis Stella sich wieder gefasst hatte. Die Begegnung mit dem Drachen, die Entdeckung des fehlenden Fragmentes aus dem Schattenworttext und vor allem das unheimliche Gelächter – all das hatte sie schachmatt gesetzt.
    Draggy. Warum nur hatte sie den Lindwurm Draggy genannt? Diese Frage ging ihr nicht aus dem Sinn. Schlummerte in ihrem Unterbewusstsein etwa ein Wissen über dieses gefährliche Wesen, das nur sie besaß? Ja, war dies vielleicht sogar der Grund, weshalb der Bund des Lindwurmes sie und niemanden anderen auserwählt hatte?
    Allmählich konnte Stella ihre Arme und Beine wieder bewegen. Noch immer wirbelten ihre Gedanken durcheinander. Zu sehr hatten sie die letzten Ereignisse in ihren Bann geschlagen. Mit einem Mal erinnerte sie sich an jene zweite unheimliche Begegnung… Was war mit dem anderen Schatten geschehen?
    Langsam drehte sie sich um, jeden Moment damit rechnend, von dem kleineren, aber in seiner wabernden Unstetheit kaum weniger Furcht erregenden Schemen angefallen zu werden. Doch der war verschwunden! Die Gittertür zu dem unterirdischen Archivraum, die Stella selbst verschlossen hatte, stand jetzt sperrangelweit offen. Der sprechende Schatten musste geflohen sein.
    »Geht es dir gut?«, erkundigte sich Sesa Mina, nachdem sie wieder ihren angestammten Platz auf Stellas Schulter eingenommen hatte.
    Diese schien die Frage zunächst gar nicht zu hören. Ohne den Blick von der offenen Tür zu nehmen, murmelte sie: »Warum fliehen alle Schatten vor mir?«
    »Vielleicht hast du etwas Furchtbares an dir.«
    Stella ließ das Frettchen auf ihren Arm klettern, damit sie ihm besser in die Knopfaugen sehen konnte. »Was sollte an mir schon so schrecklich sein? Ich habe selbst doch die meiste Angst gehabt.«
    »Ich finde, wir sollten das herausbekommen. Möglicherweise ist die Antwort auf diese Frage auch der Schlüssel zu deinem Problem!«
    »Von welchem Problem redest du eigentlich, Mina?«
    »Ist dir etwa schon entfallen, dass du den Lindwurm unschädlich machen musst?«
    Nein. Wie hätte Stella das vergessen können? Aber die Freude darüber, einer mehr als bedrohlichen Situation noch einmal mit heiler Haut entkommen zu sein, war eine angenehm betäubende Droge, die Vorstellung, sich bald wieder in eine ähnliche Lage begeben zu müssen, dagegen eine bittere Pille. Jetzt, da sich das Gedankengestöber in Stellas Kopf beruhigt hatte, kam es ihr.
    »Warum ist mir das denn nicht früher aufgefallen?«, zischte sie verärgert.
    »Wovon redest du eigentlich?«
    »Die andere Hälfte des Blattes! Sie hat sich irgendwie am Kamm des Drachen verfangen. Vielleicht ist er hierher gekommen, um den verräterischen Hinweis ganz zu vernichten, und wir haben ihn dabei gestört.«
    »Wenn du Recht hast, dann ist der Schattenworttext wertvoller, als du zuerst geglaubt hast.« Sesa Mina keckerte belustigt und korrigierte sich. »Wäre wertvoller gewesen, denn das Biest ist ja mit einem Teil durchgebrannt.«
    Erneut wurde Stella unruhig. Ihre Augen weiteten sich, während sie sich in Gedanken das Bild des Lindwurms zurückrief. »Der Fetzen hing nur ganz lose am Rücken des Schatten! Würde mich gar nicht wundern, wenn er ihn auf seiner Flucht verloren hat. Ist deine Nase fein genug, um das Papier aufzustöbern, Sesa Mina?«
    »Willst du mich beleidigen? Natürlich ist sie das! Die Witterung des Drachen hängt doch noch dran. Wenn wir nicht länger hier herumstehen und Zeit vertrödeln, dann könnten wir sogar den Wurm selbst erwischen.«
    »Wirklich? Na, worauf warten wir dann noch?«
    Im Geiste hatte Stella dem Keller des Katasteramtes schon den Rücken gekehrt. Von neuer Hoffnung beflügelt rannte sie – auf ihrer Schulter das Frettchen – die Treppe zum Foyer hinauf. Dort spähte sie durch das Türloch zur Pförtnerin hinüber. Die Dame Wunderlich schlief noch immer (oder schon wieder). Mit der Behutsamkeit einer Marderjägerin öffnete Stella die Tür und tippelte auf Zehenspitzen zum Ausgang hin. Beinahe hatte sie ihn schon erreicht, als es hinter ihr krachte. Schlagartig – im wahrsten Sinne des Wortes – kam ihr die Erkenntnis, dass sie die Tür zur Geheimtreppe auch wieder hätte schließen sollen. Die Katasterdame

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