Das Netz der Schattenspiele
lassen.
Sie schloss die Tür hinter sich.
»Bist du dir auch sicher, dass du das Richtige tust?«, fragte Sesa Mina, die inzwischen wieder auf Stellas Schulter saß.
»Absolut sicher«, antwortete diese und riss einen der Griffstäbe von ihrer Schriftrolle. Ungepolstert war das Holz eine wesentlich wirkungsvollere Waffe. Fast schon so gut wie ihr Knüttel daheim.
Wieder schlich sie durch Regalreihen. Als sie die dritte erreichte, sah sie plötzlich einen Schatten. Stella zögerte. Der längliche dunkle Schemen war erheblich kleiner als derjenige Draggys. Er waberte wie eine Qualmwolke, ohne dabei jedoch auseinander zu treiben oder an Masse zu verlieren.
»Wer bist du?«, fragte der Schatten mit einem Mal.
Stella spürte, wie sich erneut ihre Nackenhaare aufrichteten. »Ich… ich muss dem Drachen folgen«, stotterte sie und deutete zum Ende des Raumes.
Die Wolke wurde ein wenig beständiger, glich nun fast jenem Schatten, der Stella vor dem Geheimen Stadtarchiv in Enesa aufgehalten hatte. War sie etwa einem Bewacher dieser fast vergessenen Dokumentensammlung in die Hände gelaufen?
So unauffällig es ging, sah sich Stella nach einer Fluchtmöglichkeit um. Sie bemerkte, wie der Schatten auf ihren Unterarm blickte, dorthin, wo sich ihre Identifikationsnummer befand. Als sie selbst nach dem unschönen Zahlenwerk auf ihrer Haut suchte, stellte sie erschrocken fest, dass es strahlte wie ein Leuchtfeuer in der Nacht.
»Sage mir, wer du bist!«, wiederholte der Schatten. In seiner Stimme lag nun mehr Nachdruck, als hätten die Flammenziffern ihm etwas verraten.
Stellas natürliches Misstrauen, noch verstärkt durch die Warnung aus dem Schreiben des Großmeisters, ließ sie jedoch schweigen. Was sollte sie tun? Ob sie den Schatten mit ihrem Behelfsknüppel in die Flucht schlagen konnte? Nein. Sie verwarf diesen Gedanken wieder. Dieser Unbekannte war nicht mehr als eine dunkle Wolke und ließ sich wohl gar nicht verprügeln.
»Bist du freiwillig hier?«, hakte der Schemen nach. Und als sie darauf noch immer nichts sagte, sprach er geheimnisvolle Worte: »Hüte dich vor dem Herrn des Feldes. Und meide die Stadt Alba.«
Stella war völlig verwirrt. Warum nahm dieser Schatten nicht endlich Gestalt an wie jener in Enesa? Und was sollte diese rätselhafte Warnung? Sie fühlte, wie die Angst von ihr Besitz ergriff. Diesem unheimlichen Schemen war nicht zu trauen, denn so viel stand fest: Wer sich hinter dunklen Schatten versteckt, der führt etwas im Schilde. Erschreckt quietschend stürzte Sesa Mina zu Boden, als ihre Herrin plötzlich voller Furcht losrannte.
Zu spät bemerkte Stella ihren Fehler: Sie hatte die verkehrte Richtung eingeschlagen, lief genau auf das falsche Ende des Raumes zu! Aus einer Deckenöffnung strömte mattes Dämmerlicht herab und verriet: Hier gab es keine Tür. Sie steckte in der Falle!
Während sie stolpernd zum Stehen kam, drehte sie sich nach dem Schemen um. Er hatte seinen Standort nicht verändert, aber jetzt, offenbar durch Stellas Zaudern ermutigt, setzte er sich in Bewegung und kam langsam näher. Sie war nahe daran, in Panik zu geraten. Ihre Finger umklammerten den Haltestab der Schriftrolle so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Jeden Moment rechnete sie mit einem Angriff. Doch plötzlich verharrte die dunkle Wolkensäule.
Für einen Moment wusste Stella nicht, was sie davon halten sollte. Aber dann nutzte sie die Gunst der Stunde, wirbelte herum und rannte weiter. Vielleicht gab es ja hier doch einen zweiten Ausgang oder irgendeine andere Fluchtmöglichkeit.
Fast hatte sie schon die letzte Regalreihe erreicht, als zu allem Übel auch noch der zweite wesentlich größere Schatten erschien, der nur dem Lindwurm gehören konnte. Wie von einem Katapult geschossen, jagte er auf Stella zu. Diese bremste ihren Lauf und kam schlitternd zum Stehen. Keinen Augenblick zu spät, denn der Drache schnellte nur vier Schritt von ihr entfernt nach oben. Von der Decke her ertönte ein lautes Krachen, gefolgt von dem Klirren metallener Stäbe, die auf den Steinboden hagelten. Um ein Haar wäre Stella getroffen worden.
Für die Dauer eines Wimpernschlages sah sie den Lindwurm noch von hinten… Und ihr wurde heiß und kalt zugleich. In der Lichtöffnung erkannte sie nämlich deutlich, was da am Rückenkamm des Drachen so hell leuchtete. Der rechteckige Fleck war nichts anderes als die obere Hälfte des Schattenwortblattes!
Schon war der Drache durch das Loch geflohen. Zuletzt sah Stella
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