Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
gebührend über ihr erstaunlich bildhaftes Gedächtnis wundern konnte, drang Sesa Minas Stimme an ihre Ohren. »Da wären wir.«
    Stella blickte sich um. Seit gestern hatte sich nichts verändert. Sogar die zerspellten Tonziegel lagen noch auf der Straße.
    »Und jetzt?«, fragte das Frettchen.
    »Wir warten«, war Stellas einsilbige Antwort.
    »Wozu soll das gut sein?«
    »Du hast doch selbst gesagt, durch die Luft kannst du die Witterung des Lindwurms nicht verfolgen. Vielleicht kehrt er ja wieder an diesen Ort zurück.«
    »Ich habe schon von besseren Plänen gehört.«
    »Wenn du einen Moment mal deinen Mund halten könntest, käme ich vielleicht auf einen klaren Gedanken.«
    »Schnauze.«
    Stella schnappte nach Luft. »Also hör mal…!«
    »Frettchen haben keinen Mund, sondern eine Schnauze«, präzisierte Sesa Mina.
    Stella verkniff sich eine Antwort. Zweifellos würde Mina auch darauf wieder eine unverschämte Erwiderung einfallen. Das Schlimmste an ihren kecken Einwürfen war, dass sie damit meistens Recht behielt.
    Es verging eine geraume Zeit, ohne dass Erwähnenswertes geschah. Stella erhielt die Gelegenheit, um gründlich nachzudenken. Ihr von Sesa Mina so abschätzig kommentierter Vorschlag, auf den Lindwurm zu warten, entsprang nämlich einer durchaus tiefsinnigen Überlegung: Ganz offensichtlich hatte der Drache sie nicht angreifen wollen, andererseits aber auch nicht die Flucht ergriffen, sondern sie hier an dieser Wegkreuzung erwartet. Für diesen Widerspruch hatte Stella nur eine einzige Erklärung: Nicht sie hatte Draggy gefunden, sondern er sie. Zumindest wollte er sich von ihr entdecken lassen.
    An diesem Gedankengang gab es die eine oder andere Schwachstelle, dessen war sich Stella durchaus bewusst. Warum floh der Lindwurm immer wieder vor ihr? Was versprach er sich von diesem Katz-und-Maus-Spiel?
    Sesa Mina hatte in der Zwischenzeit damit begonnen, die umliegenden Gassen zu durchsuchen. Sie schlüpfte sogar in einige Häuser, aber weder ihre Nase noch einer ihrer anderen empfindlichen Sinne fanden einen Hinweis auf den Verbleib des Drachen.
    Stellas Geduld schwand im gleichen Maße, wie die Fragen in ihrem Kopf zunahmen. Missmutig blickte sie den wenigen Menschen nach, die an ihr vorübergingen. Die Stadtbewohner ihrerseits musterten sie argwöhnisch und manchmal sogar scheu, wenn sie erst Stellas grimmigen Blick bemerkten. Ein hübsches blondes Mädchen mit einem langen Speer – das war selbst in Amon ein sehr exotischer Anblick.
    Was tat sie eigentlich hier? Diese Frage stellten sich nicht nur die Passanten, sondern auch Stella selbst. Ihr sorgsam errichtetes Gedankengebäude geriet durch ihren brodelnden Unmut wieder ins Wanken. Hier stand sie nun, in einer einsamen Gegend Amons, und wartete auf ein Wunder. Es war doch unsinnig zu glauben, ihre Beute würde vorbeikommen und sich damit gewissermaßen selbst dem Spieß ausliefern, den sie bei sich trug… Speer!, korrigierte sich Stella, wobei ihr wieder die Worte Jutwalds, des verschrobenen Waldläufers in den Sinn kamen. Was hatte er doch gleich über seine famose Waffe gesagt? Auf welches Ziel man den Speer auch richte, man könne es praktisch gar nicht verfehlen.
    Stella blickte skeptisch zur Spitze der Waffe empor, deren stumpfes Ende auf der Straße ruhte. Wahrscheinlich war das alles nur »Waldläuferlatein«.
    »Was machst du denn da?«, fragte Sesa Mina beunruhigt. Sie war gerade zu Stella zurückgekehrt und sah ihre Herrin den Speer in der Hand wiegen.
    »Ich weiß nicht, was ich tun soll, um diesen Lindwurm zu finden. Also werfe ich ein Los.«
    »Du meinst einen Speer?«
    »Das ist doch dasselbe.«
    »Na, ich weiß nicht.«
    »Es gibt weder in Enesa noch sonst irgendwo eine amtliche Konstruktionsvorschrift für Lose. Meines hat eben die Form einer Lanze. Sie kann alles treffen, was man will, aber ich will jetzt sehen, was sie trifft, wenn ich nichts treffen will.«
    »Kannst du das für mich bitte noch einmal wiederholen? Ganz langsam, wenn’s geht.«
    »Du hast mich sehr gut verstanden, Mina. Ich werfe den Speer jetzt diesen Berg hinauf und irgendwo wird er stecken bleiben. Das gibt uns dann die Antwort, wie es weitergeht.«
    »Hoffentlich landet er nicht im Körper eines Amoniters.«
    »Die Gegend hier ist doch so tot wie ein Fisch, der mit dem Bauch nach oben schwimmt.«
    Stella bemerkte aus Sesa Minas ganzer Körperhaltung, dass ihr der Plan nicht gefiel. Er war ja auch albern, aber in ihrer Verzweiflung wusste sich Stella

Weitere Kostenlose Bücher