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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Blick. Die Lanze lehnte an der Tischkante neben ihm. »Nicht wahr? Der Speer ist etwas ganz Besonderes.«
    »Würdet Ihr ihn mir verkaufen?«
    Für einen Moment zeichnete sich Verwunderung auf Jutwalds Gesicht ab, aber dann lächelte er. »Ist wohl für das größere Wild gedacht, von dem Ihr vorhin gesprochen habt.«
    »Ich würde lügen, wenn ich mit Nein antwortete. Könnt Ihr Euch von ihm trennen?«
    »Der Speer scheint es Euch ja wirklich angetan zu haben.«
    »Sagen wir, ich brauche ihn dringend.« Eine Preisverhandlung so zu beginnen war mehr als töricht, aber Stella war zu müde, um das ganze Ritual des althergebrachten Feilschens durchzuspielen.
    »Ich hänge sehr an ihm.«
    Natürlich! Das hätte Stella auch gesagt. »Ich denke, Ihr könnt Euch einen anderen besorgen. Und ich weiß, dass es dumm ist, so etwas zu sagen: Mir fehlt die Zeit, um lange nach einer geeigneten Waffe Ausschau zu halten. Also gebt mir eine offene Antwort. Wollt Ihr Euer Herzensstück an mich abtreten? Ihr bekommt vier Kronen dafür. Das ist ein faires Angebot.«
    »Ihr hättet Recht, wäre dies ein normaler Speer. Aber der hier… Nein, für vier Kronen kann ich ihn unmöglich hergeben. Ich könnte Euch meinen Bogen und die Pfeile…«
    »Nein«, fiel Stella dem Waldläufer ins Wort. Die Pfeile würden den Lindwurm höchstens kitzeln. »Ich möchte das lange Ding da haben.«
    Die Augen des hageren Mannes wanderten hinauf zur scharfen Klinge des Speers, als suche er den Nordstern am Himmel. »Ihr wollt also wirklich ihn haben? Ich meine, er ist ziemlich groß für Euch, Fräulein Stella.«
    »Ich brauche den Speer dringend«, wiederholte sie. »Ich gebe Euch fünf Kronen. Aber das ist mein letztes Angebot.«
    Der Waldläufer schien jeden Moment in Tränen auszubrechen. »Eine so prachtvolle Waffe!«, begann er erneut zu schachern. Stella wusste, dass er sich längst mit dem Verkauf abgefunden hatte, nun aber den Preis in die Höhe treiben wollte. »Ausgewogen wie der Leib eines Falken, scharf wie die Kralle eines Adlers. Richte ich ihn gegen ein Ziel, dann trifft er es. Selbst wenn meine Beute in irgendeinem Schlupfwinkel Zuflucht sucht.«
    »Ihr braucht mir keine Wundermärchen zu erzählen, Jutwald.
    Ihr habt da einen feinen Spieß. Und fünf Kronen sind mehr als genug dafür.«
    »Spieß?«, entsetzte sich der Bärtige in schrillem Ton. »Was ich hier halte, ist kein Kochgerät, sondern die Waffe eines Jägers. Geschmiedet von Meisterhand, geschaffen, um Leben zu retten, aber es auch zu nehmen. Allein die Spitze – sie kann selbst einen Baum durchdringen, so dick wie Eure…«
    »Fünf Kronen und keinen Kreuzer mehr.«
    Ein tragisches Seufzen entwand sich dem Waldmann. »Nun gut. Ich sehe, mit Jagdkunst kann ich Euch nicht beeindrucken. Es wird mir wohl möglich sein, einen neuen Speer wie diesen zu beschaffen, wenn ich nur lange genug danach suche. So will ich denn Euer Geld nehmen, nicht weil es ein angemessener Preis für diese edle Waffe wäre, sondern weil ich spüre, dass Ihr sie wirklich dringender benötigt als ich. Sagt, es ist doch wohl kein lästiger Gatte, den Ihr damit…?«
    Stella drückte dem Hageren die fünf Münzen in die Linke und entzog den Fingern der anderen Hand das Objekt der Begierde. »Hätte ich einen Mann zum Gemahl, wie Ihr es seid, dann würde ein Käsedolch wohl reichen, ihn zu durchbohren«, sagte sie lachend und verschwand – gefolgt von Sesa Mina – zwischen Tischen und Gästen, noch während der Jäger sein Geld zählte.

 
    DIE SCHWARZE SONNE
     
     
     
    Das Bett gehörte bestimmt nicht zu den Meisterwerken amonesischer Möbelbaukunst. Es bestand aus einem einfachen Kasten mit Strohmatratze. Wenigstens roch das Heu nicht muffig und die Bettdecke war sogar frisch gewaschen – alles in allem ausreichend, um eine Nacht in dem ansonsten eher karg eingerichteten Zimmer zu überstehen.
    Den tiefen Schlaf, aus dem sie am nächsten Morgen ausgeruht erwachte, hatte Stella wohl hauptsächlich ihrer Erschöpfung zu verdanken. Nur noch eine leichte Mattigkeit haftete an ihren Gliedern. Vielleicht hatte sie sich irgendwo erkältet.
    Kurz nach dem Aufstehen begann Sesa Mina ihr wieder mit einem Thema auf die Nerven zu gehen, das Stella am Vorabend noch mit Hinweis auf ihre Erschöpfung hatte abbiegen können.
    »Du hast dich übers Ohr hauen lassen«, beharrte das Frettchen.
    »Also, jetzt gib schon endlich Ruhe, Mina. Ich weiß, dass ich dem alten Schacherer für seinen Spieß zu viel in den Rachen

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